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Online-Lehrbuch Demokratie

Einleitung

Was ist Demokratie?

Entwicklung

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Staat

Gesellschaft

Probleme


Entwicklung der Demokratie

Demokratie im Mittelalter: "Stadtluft macht frei"

[Autor: Dr. Ragnar Müller, Mail an den Autor]


Auf dieser Seite befassen wir uns mit demokratischen Ansätzen im Mittelalter, die im wesentlichen auf Städte beschränkt waren. Dabei betrachten wir eine mittelalterliche Stadt genauer, nämlich Brügge, das "Venedig des Nordens". Wie war eine Stadt im Mittelalter organisiert, welche demokratischen Elemente können wir finden? Doch zunächst ein kurzer Einführungstext von Hans-Helmuth Knütter:

"Im europäischen Mittelalter zeigt sich in allen politischen Gebilden ein Nebeneinander von monarchischen, aristokratischen und demokratischen Prinzipien. Demokratische Mitbestimmung gab es hauptsächlich in den Städten, die in der Regel eine aristokratische Verfassung hatten. In heftigen Kämpfen versuchten Handwerker und ihre Verbindungen (Zünfte) den Patriziern, die meist Kaufleute waren, die Stadtherrschaft streitig zu machen. Die besitzlosen Schichten blieben aber politisch einflusslos.

Durch den Grundsatz, dass es in der Stadt keine Unfreiheit gebe ("Stadtluft macht frei") und dass die Stadtverwaltung das Wohl der Gesamtheit vertrete, entstand das Bewusstsein eines Stadtbürgertums, das sich in seinem Selbstverständnis und in seiner Rechtsstellung deutlich vom abhängigen "Untertanen" der absoluten Monarchien unterschied.

[Autor: Hans-Helmuth Knütter, aus: Bundeszentrale für politische Bildung: Demokratie, Informationen zur politischen Bildung Nr. 165, Neudruck 1992]





Brügge als Beispiel


















Ständeordnung:

1. Adel
2. Klerus
3. Bauern & Arbeiter
    (Unfreie)









Städte bilden sich um Burgen und Klöster



Das mittelalterliche Brügge

Brügge zählte zu den bedeutendsten Städten im Mittelalter. Der folgende Text stellt dieses wirtschaftliche und kulturelle Zentrum vor und fragt danach, wie es um die Demokratie in dieser mittelalterlichen Stadt bestellt war. Wie frei macht Stadtluft? Anschließend beschäftigen wir uns mit der Schönheit dieser Stadt, die ihre kulturelle Blüte unter den Burgunderherzögen erlebte, und den bedeutenden Künstlern, die sie hervorgebracht hat: Brügge - ein Stadtspaziergang.

Wie frei macht Stadtluft?

"Stadtluft macht frei" lautet ein altes Sprichwort. Es hat seinen Ursprung im Mittelalter, als sich langsam Städte bildeten, in denen die Menschen freier leben konnten als auf dem Land. Der Ursprung der Unfreiheit war die strenge Ständeordnung des Mittelalters. Die meisten Menschen lebten als unfreie Leibeigene ihres Herrn auf dem Land.

Die Ständeordnung

Den ersten Stand bildeten die Adligen. Den zweiten Stand bildeten Angehörige der Kirche, der Klerus. Der dritte Stand setzte sich aus Bauern und Arbeitern zusammen. Der größte Teil der Angehörigen des dritten Standes war unfrei und einem Dienstherrn unterstellt. Sie durften sich nicht frei bewegen, konnten nicht in einen höheren Stand aufsteigen, mussten den größten Teil dessen, was sie erwirtschafteten, an den Dienstherrn abgeben und waren seiner Willkür ausgeliefert. Sie gehörten praktisch ihrem Herrn vergleichbar mit Sklaven. Freie Dienstherren waren nur Personen aus den ersten beiden Ständen. Sie besaßen Grund und Boden.

Entstehung der Städte

In der Regel spielte sich das Leben auf dem Land ab. Zentren bildeten dabei die Sitze der Dienstherrn, also Burgen, Klöster und Königliche Paläste. An diese Zentren siedelten sich im Laufe des 11.und 12. Jahrhunderts immer mehr Menschen an, so dass sich kleine Städte bildeten. Diese Menschen stammten ursprünglich aus dem dritten Stand und hatten sich von ihrem Herrn freigekauft oder waren ihm davongelaufen. Grund und Boden besaßen sie nicht. Sie versuchten, sich als Handwerker oder Kaufleute ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Den Dienstherren gelang es nicht, ihre Leibeigenen in den Städten zu suchen und wieder zurückzuholen. Daher setzte es sich durch, dass Unfreie, die ein Jahr und einen Tag in einer Stadt lebten, zu Freien wurden. So entstand der Spruch "Stadtluft macht frei".

Die Stadt Brügge

Auch in der Region Flandern, das liegt im heutigen Belgien, machte Stadtluft frei. Flandern reichte damals von der Maas bis an den Atlantik. Die bedeutendste Stadt in dieser Region war Brügge. Auch Brügge bestand ursprünglich aus einer Burg aus dem 9. Jahrhundert und den dazugehörigen Siedlungen. Diese Burg gehörte dem Grafen von Flandern. Er war durch Geburt der Landesherr Flanderns und Brügges. Er wurde nicht gewählt. Die Herrschaft über Flandern wurde vom Vater an den Sohn weitervererbt. Durch Kriege oder Heirat konnte der Landesherr wechseln. Die Herrschaft entbehrte also einer demokratischen Legitimation. Auf Herrschaftswechsel hatte das Volk keinen Einfluss. Zudem bedrohte ein Herrschaftswechsel die Unabhängigkeit der Städte und damit auch ihre Gesellschaftsordnung mit den demokratischen Elementen. Ein neuer Herrscher würde immer versuchen, Selbstbestimmung zu verhindern und erwirtschaftete Gewinne selbst abzuschöpfen.

Demokratie in der mittelalterlichen Stadt?

In unserem Beispiel von der Fernsehfamilie (siehe "Was ist Demokratie?") wäre das so, als ob der Vater der Familie vom Großvater die Fernbedienung geerbt hätte und nun frei darüber verfügen könnte, ohne dass der Rest der Familie Einfluss auf seine Entscheidung hätte. Die anderen Familienmitglieder könnten nur mit Gewalt etwas an ihrer Situation ändern.

 

 

 

Die Problematik des Begriffs "Mittelalter"

 

Der Gymnasialrektor Christoph Cellarius (1634-1707) hat sein Kompendium der alten Geschichte zweimal herausgebracht; das erste Mal (1675) führte er es bis Christi Geburt, das zweite Mal (1685) bis zu Konstantin.

Zuerst folgte Cellarius der heilsgeschichtlichen Periodisierung der Weltgeschichte, die in der Patristik entwickelt und im "Mittelalter" maßgeblich wurde und unsere Zeitrechnung "nach Christi Geburt", so wie sie Dionysius Exiguus um 525 errechnete, noch heute bestimmt.

1685 verwendete Cellarius jedoch die Periodeneinteilung der humanistisch verstandenen Bildungsgeschichte in Antike, Mittelalter und Neuzeit und projizierte sie — erstmals universalhistorisch verallgemeinert — auf die Staatengeschichte.

Die von Konstantin bis zur Eroberung Konstantinopels reichende Zeit beschrieb Cellarius sodann (1688) als die "barbarischen Jahrhunderte" des medium aevum. Daran schloss er (1693) die Darstellung der historia nova an.

Mit dieser nunmehr profanen Epocheneinteilung der Weltgeschichte hat Cellarius in der Geschichte der Geschichtsschreibung selber Epoche gemacht. Seine Trias hat sich durchgesetzt, wenngleich mit mehr Erfolg als Recht. Denn sie wird allein schon den drei Herrschafts- und Kulturbereichen, welche die antike Mittelmeerwelt ablösten, also dem griechisch-byzantinischen, dem islamisch-arabischen und dem lateinisch-fränkischen, nicht gerecht. Sie gilt nur für den letzten; der erste kennt nicht die "neue" und der zweite nicht die "antike" Epoche, so dass die "mittlere" auch nicht ihr Mittel-Alter ist.

Der Begriff des Mittelalters erfüllt darum nicht das Erfordernis, klar und deutlich zu sein, sondern bezeichnet nur vage ein ganz grob gerechnetes und mit je verschiedenen Grenzen und Gründen zu umfassendes Jahrtausend in der Geschichte der Nachfolger des Römerreiches.

In diesem profanhistorisch bestimmten Mittelalter hat jede der drei Nachfolgekulturen ihrerseits in sakralen Ären die Jahre der Heilsgeschichte im Hinblick auf ihr Ende gezählt: Byzanz die Jahre des Bestehens der Welt und der Regierung des jeweiligen Kaisers, der Weltherrschaft Gottes also und seines Stellvertreters; der Westen die Dauer des neuen Bundes als der mittleren Zeit zwischen der Menschwerdung und der Wiederkunft Christi; der Islam die Jahre des Bestehens der religiös-politischen Gemeinschaft der Muslime, die mit der Emigration (hedschra) des Propheten nach Medina begann.

Die heilsgeschichtliche Deutung bestimmt hier wie dort die geschichtliche Existenz und ist darum der verbindliche Rahmen des politischen Tuns und Denkens. So ist Politik als Praxis und als Theorie "letzten Endes" auf die Religion bezogen. Die Religion stellt der Politik ihre vornehmsten heilsgeschichtlichen Aufgaben: den Schutz und die Ausbreitung des wahren Glaubens. Politische Gemeinschaften formieren sich darum zugleich als Glaubensgemeinschaften, die Andersgläubige bei sich allenfalls dulden, sie aber nicht herrschen lassen können.

Und umgekehrt folgt die Politik dem weltweiten Missionsauftrag der monotheistischen Religion (vgl. Matth. 28,19f.; Koran 34,27) durch die Idee monarchischer Weltherrschaft als Anspruch oder als Fiktion. Aus diesen theologischen Prämissen der Politik wurden jedoch im byzantinischen, islamischen und lateinischen Kulturbereich nicht dieselben Folgerungen abgeleitet.

[Autor: Dieter Mertens; aus: Hans Fenske u.a., Geschichte der politischen Ideen. Von Homer bis zur Gegenwart, Frankfurt/Main 1987]

 

 



 


Mit Gewalt einen Herrschaftswechsel durchzuführen, versuchten auch die Flamen. So mussten sie sich während des Hundertjährigen Krieges, konkret z.B. 1302, gegen die Übernahme durch die Franzosen wehren. Flandrische Zünfte ermordeten französische Besatzer im Mai 1302 in der Mette von Brügge. Im Juli des gleichen Jahres besiegten bürgerliche Fußtruppen der Flamen das französische Ritterheer in der Sporenschlacht bei Kortrijk (Courtrai) vernichtend, wodurch es Flandern gelang, seine Unabhängigkeit zu bewahren und vorerst vor der Fremdherrschaft verschont zu bleiben. In der Schlacht kämpften Adel, Patrizier, Handwerker und Bauern gemeinsam. Die Volkshelden Breydel und Coninck sollen an die 7000 Weber und Fleischhauer in den Kampf geführt haben. Auf ihren Einsatz im Kampf begründeten die niederen Stände ein Mitspracherecht, von dem später noch die Rede sein wird.





Brügge als Handelszentrum


Das "Venedig des Nordens"

Flandern war nicht nur in der Schlacht erfolgreich, sondern auch wirtschaftlich. Es war bekannt für die hohe Qualität des dort hergestellten Tuches. Im 13. Jahrhundert wurde in ganz Europa ein reger Handel betrieben. Zunehmend wichtiger wurde der Handel auf dem Seeweg. Dadurch bildeten sich an wichtigen Routen große Handelszentren. Brügge wurde auf Grund seiner geographischen Lage und der hochwertigen Tuchherstellung das bedeutendste Handelszentrum in dieser Region.

Es bezog Stoffe aus den umliegenden ländlichen Regionen und verkaufte sie an Händler aus Großbritannien, Italien und Deutschland. Vorteilhaft war dabei der Hafen Brügges, der an der Bucht Zwyn lag, die sogar von den großen Handelsschiffen angefahren werden konnte. Brügge lebte von den ausländischen Händlern. In Brügge wurden alle nur erdenklichen Luxusgüter gegen das teure Tuch getauscht. Brügge besaß internationales Flair, weshalb es auch das "Venedig des Nordens" genannt wird.

Die neue Schicht der Kaufleute

Durch den regen Handel bildete sich die Schicht der Kaufleute heraus. Sie waren freie Bewohner der Stadt, die oft ein Vermögen erarbeiten konnten. Den reichen Bürgern der Städte Flanderns gelang es, dem Grafen von Flandern die Autonomie der Städte und Privilegien für die Städte abzuhandeln. Freiheit und Wohlstand zeichneten Handelsstädte wie Brügge aus. Immer mehr Menschen siedelten sich in Brügge an. Auch die Hersteller des Tuches, Handwerker wie Weber, Walker und Färber zog es vom Land nach Brügge. Die Stadt wuchs und muss über 40.000 Einwohner gehabt haben.




Herausbildung einer neuen sozialen Ordnung in den Städten


Das Bürgertum

In der Stadt bildete sich unabhängig von der ländlichen Ständeordnung eine neue soziale Ordnung. Noch immer war der Landesherr die oberste Instanz, die Kirche hatten einen enormen Einfluss und Adlige besaßen bestimmte Sonderrechte. Aber es waren nur wenige Adlige in den Städten. Die meisten hielten sich auf dem Land auf. Immer mehr Einfluss bekamen nun aber die reichen Kaufleute und Handwerker, die in der Stadt eine neue Schicht, das Bürgertum, bildeten.

Innerhalb des Bürgertums muss unterteilt werden in eine kleine, reiche Oberschicht aus reichen Kaufleuten, eine Mittelschicht aus wohlhabenden Kaufleuten und Handwerkern wie z.B. Tuchfabrikanten, und eine niedrigere Schicht aus Handwerkern, die gefolgt wird von den Lohnarbeitern.




Selbstorganisation in der Stadt








demokratische Ansätze, aber Zensuswahlrecht


Die Stadtverwaltung

Da die Bürger der Stadt nicht an einen Dienstherrn gebunden waren, mussten sie sich selbst organisieren. So mussten sie ihre Waren gegen Plünderer schützen, indem sie z.B. Stadtmauern bauten, wie sie heute noch in alten Städten zu finden sind. Um den Bau einer Stadtmauer durchzuführen und zu finanzieren, wurde eine Art Verwaltung gegründet. In Brügge wurde diese selbständige Verwaltung Ende des 12. Jahrhundert eingerichtet. Meistens bildete sich ein Rat, in dem die wichtigsten und reichsten Bürger, in der Regel Kaufleute der Stadt, vertreten waren. In Brügge wurde diese Funktion von einem gewählten Schöffenrat übernommen. Dieser Schöffenrat hatte zugleich die wichtige Aufgabe, über Streitigkeiten zu richten.

Demokratische Ansätze

Einrichtungen wie dieser Schöffenrat waren erste demokratische Elemente im Mittelalter, die sich in den Städten herausbildeten. Dennoch entsprachen diese demokratischen Elemente nicht den Anforderungen, die heute an eine Demokratie gestellt werden. Zeitweise war der Grundbesitz Voraussetzung, um wählen zu dürfen. Große Teile der Bevölkerung waren daher von den Wahlen ausgeschlossen. Unter den Wählern gab es auch noch Unterschiede. So erhielten die Wähler je nach Stand unterschiedlich viele Stimmen (Zensuswahlrecht), was zu einer aus heutiger Sicht ungerechten Verschiebung zu Gunsten der ersten beiden Stände führte. Begünstigt durch solche Regelungen und ihren Reichtum bildeten sich in den Städten einflussreiche Kaufmannsfamilien, Patrizier, heraus. Sie bildeten die Oberschicht der Stadt. Zunehmend wurden die Posten in Gremien wie dem Schöffenrat nur noch an die Mitglieder solcher Familien vergeben, die ihre Posten zum Teil zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzten. Dadurch wurde dieses demokratische Element weiter ausgehöhlt. Gegen diese Ungerechtigkeit begannen die restlichen Bürger sich zur Wehr zu setzen. Ein wichtige Rolle spielten dabei die Handwerker.









Zünfte der Handwerker erkämpfen sich Mitspracherecht


Zünfte

Die Handwerker organisierten sich selbst, indem sie sich zu sogenannten Zünften zusammenschlossen. Für jeden Handwerksberuf gab es eine Zunft. Die Zunft überwachte die Herstellung der Produkte. So musste ein Brötchen ein bestimmtes Gewicht haben. Entsprach ein Brötchen nicht dem Gewicht, wurde der Bäcker bestraft.

Die Zünfte sorgten aber auch dafür, dass es nicht zuviel Konkurrenz gab. Sie erschufen strenge Regelungen, die viele Bürger von den handwerklichen Berufen ausschloss. Selbst wer es in eine Zunft geschafft hatte, musste sich der Hierarchie in der Zunft beugen. Auch in den Zünften spielten familiäre Bindungen eine wichtige Rolle. Die Strukturen innerhalb der Zünfte waren also ebenfalls aus heutiger Sicht undemokratisch.

In der Verwaltung der Städte hatten die Zünfte und ihre Mitglieder zu Beginn kein Mitspracherecht. So auch in Brügge. Missernten und das Wüten der Pest verschärften die wirtschaftliche Situation und riefen starke soziale Spannungen hervor. Das führte Mitte des 13. Jahrhunderts zu Revolten in den flandrischen Städten. Die Zünfte setzten sich durch und erhielten ein Mitspracherecht durch Sitze im Schöffenrat oder eine zusätzlich Kammer mit Vertretern der Zünfte. Die demokratischen Elemente wurden dadurch gestärkt und auf einen weiteren Teil der Bürgerschaft ausgeweitet. Nicht berücksichtigt wurden allerdings Handwerksgesellen und Lehrlinge, die auch innerhalb der Zünfte kein Mitspracherecht hatten. Trotz Zusammenschlüssen zu Gesellenverbänden und mehreren Revolten konnten sie sich nicht gegen Adel, Patriziat und Zünfte durchsetzen.



 


Brügge und Burgund

Als gegen 1369 Philipp der Kühne, der Herzog von Burgund, die Erbtochter des Grafen von Flandern, Margarete, heiratete, mussten sogar alle Bürger Brügges um ihre Unabhängigkeit bangen. Sie fürchteten den Verlust ihrer Autonomie und hohe Abgaben an Burgund. Daher kämpften die Städte 1375 im Aufstand der Kommunen darum, eigenständige Stadtrepubliken zu werden. Obwohl Philipp noch nicht offiziell Herrscher über Flandern war, schickte er dem Grafen von Flandern seine Truppen zur Hilfe, wodurch der Aufstand niedergeschlagen werden konnte. Mit dem Tod des Grafen übernahm der Burgunder 1384 die Herrschaft über Flandern.

Obwohl die Bürger Brügges also die Privilegien der Stadt genossen, haben sie lange für ein Mitspracherecht und ihre Autonomie kämpfen müssen. Bestimmte Gruppen, wie niedere Handwerker, Juden und Frauen, kamen jedoch nie in diesen Genuss. Und auch diejenigen, die ein Mitspracherecht besaßen, mussten sich vor einem Landesherrn fürchten, den sie nicht frei wählen konnten und der versuchte, ihnen mit Truppen ihre Eigenständigkeit und ihren Reichtum zu nehmen.




Brügge heute



Weitere Fotos bei Wikimedia Commons:









[Foto: Donar Reiskoffer, Wikimedia Commons]








"Im Zeitalter Jan van Eycks ... und Hans Memlings ... ist Brügge unbestreitbar eine der schönsten Städte der Welt"

[Hippolyte Fierens-Gevaert, 1901].





Weitere Informationen bei Wikipedia:
- Brügge
- Jan van Eyck
- Hans Memling



Brügge - ein Stadtspaziergang

Brügge: eine mittelalterliche Welthandelsmetropole

Der Große Markt als Mittelpunkt des alten Brügge ist Ausgangspunkt für einen Stadtgang, war doch hier der Anfang der Stadt. An der heutigen Wollestraat und der Oude Burg genannten Straße lag der "Oude Stehen", die erste flämische Vogtei, bei der bald ein Handelsplatz entstand. Die Grafenburg wurde im 9. Jahrhundert jenseits der Reie angelegt. Der Ort Bryggia (Anlegeplatz) wuchs um die Salvatorkirche seit dem 11. Jahrhundert, der Grafensitz zog Siedler und Handelsleute an. Die Reie floss durch die Stadt von Süden her im Bogen bis zum van-Eyck-Platz und weiter nordöstlich in den Zwyn genannten Meeresarm — gute Bedingung für das Handelszentrum. Von der Reie ausgehende Grachten — mit Wällen und Mauern Stadtbefestigung — dienten auch dem Transport.

Seit Ende des 12. Jahrhunderts betrieb eine selbständige Stadtverwaltung planmäßigen Ausbau und Vergrößerung der Stadt. Ein zweiter Grachtenring bezog als neuer Wasserweg umliegende Klöster mit ein. Im Laufe der Zeit bestimmten neben den Patriziern — Grundbesitzer und Handelsherren — die zu Gilden zusammengeschlossenen Handwerker die Stadtgeschichte.

Den Großen Markt beherrschen die Hallen: Lager- und Markthallen um einen rechteckigen Innenhof, im 13./14. Jahrhundert als Steinbauten errichtet. In äußeren Laubengängen gab es Läden und Verkaufsstände. Der 108 m hohe Belfried ist das Bauwerk selbstbewusster Bürger, Symbol für Reichtum, Machtanspruch und Freiheit des mittelalterlichen Brügge. Das gut gesicherte Archiv im zweiten Stock barg Stadturkunden und Freibriefe, Dokumente der Unabhängigkeit. Die Glocken des Turms riefen die Bürger zusammen, wenn vom Balkon über dem Eingang Gesetze und Verordnungen verkündet wurden.

Der Belfried ist auch das Wahrzeichen für das Zentrum des damaligen Welthandels neben Ypern und Venedig. Die Schiffe der Hanse und der italienischen Handelshäuser gingen in Brügge vor Anker. Es war der Umschlagplatz für die englische Wolle, die in Flandern zu Tuch verarbeitet und exportiert wurde, des Salz- und Pelzhandels, durch die Italiener auch des Gewürzhandels. Bis 1787 stand an der Ostseite des Marktes anstelle von Provinzverwaltung und Post die 'Waterhalle' über der Reie; hier wurden die Schiffe entladen, Waren gestapelt und gehandelt. Von den Patrizierhäusern am Marktplatz gab es einige schon im 16. Jahrhundert. In der Kranenburg wurde 1488 Erzherzog Maximilian von den rebellierenden Bürgern einige Tage gefangengehalten. Von hier aus sahen Bürger und Adelige den Turnieren und Spektakeln auf dem Marktplatz zu.

Im 15. Jahrhundert erreichte Brügge seinen größten Wohlstand; Philipp der Gute hatte im Prinsenhof seine Hofhaltung, glänzende Feste wurden gefeiert. Es fanden Ritterturniere statt und die Festlichkeiten während der Hochzeiten Philipps mit Isabella von Portugal (1430) und Karl des Kühnen mit Margarete, der Schwester des englischen Königs (1468). Über den Prinsenhof zogen jährlich am Himmelfahrtstag die großen Heilig-Blut-Prozessionen mit der kostbaren Reliquie, einem "Blutstropfen Christi".

Mit Wachstum und Organisation der Stadt bildeten sich — durch Straßen- und Grachtennamen noch kenntlich — einzelne Stadtviertel heraus: um Burg- und Marktplatz standen die prächtigen Häuser der Majores und der Zünfte, um St. Gillis und St. Salvator die einfachen der Handwerker. Nördlich des Großen Marktes war eines der wichtigsten Quartiere der Stadt mit Handelshäusern von vierunddreißig Nationen. Nahebei liegt an der Vlamingstraat der Kranplein. Hier gingen zu Schiff angereiste Besucher von Bord, hier wurden mit einem großen hölzernen Kran sperrige Güter entladen. Am heutigen van-Eyck-Plein mussten die Waren durch den Zoll. Das Zollhaus (1477) mit seinem Blendmaßwerk und der reich dekorierten Eingangshalle zeugt noch vom Wohlstand durch das Zollprivileg. Auch das benachbarte Zunfthaus der Lastträger, eines der schmalsten Häuser der Stadt, ist ein Schmuckstück. Schräg gegenüber steht das wiederaufgebaute Clubhaus der Poorters, wohlhabender Brügger Kaufleute, heute Staatsarchiv.

Nahe beim alten Woensdagsmarkt (Mittwochsmarkt) stand das Hansekontor, das Oosterlingenhuis (1442), das die Stadt den deutschen Kaufleuten gebaut hatte. Zwischen Vlamingstraat und St. Jakob hatten vor allem die Italiener ihre Handelshäuser. Man findet noch wenige Zeugen des damaligen Welthandels: die Faktorei der Genuesen an der Vlamingstraat, mit Verkaufsraum im Erdgeschoss und einem Festsaal hinter hohen Maßwerkfenstern (Ende 14. Jh.); schräg gegenüber das Handelshaus der Republik Florenz. Dieser Platz, an dem auch Venezianer und Katalanen ihre Kontore hatten, hieß schon auf einem Stadtplan des 16. Jahrhunderts 'Byrsa Brugensis' (Börse von Brügge). Vor dem Haus der Familie van der Beurze war der geschäftliche Treffpunkt der Kaufleute, die erste Börse. In Antwerpen, der Handelsnachfolgerin Brügges, gab es seit 1531 ein Börsengebäude (...).

[Textauszug entnommen aus: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Zeitschrift Deutschland und Europa, Ausgabe 1/1998 "Flandern"]




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