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Inhaltsverzeichnis


Themen des Online-Lehrbuchs Web 2.0:

Einleitung

Was ist das Web 2.0?

Lernen 2.0

Politik 2.0

Wirtschaft 2.0

Gesellschaft 2.0

 


Politik 2.0

Wenn wir in der Einleitung zu diesem Online-Lehrbuch formuliert haben, dass wir angesichts der dynamischen Entwicklung nur eine vorläufige Bestandsaufnahme leisten können, dass die verstreuten Debatten zum Web 2.0 und dessen Auswirkungen bislang undurchsichtig und grundlegende Kategorien noch unscharf sind und dass nach wie vor technische Perspektiven dominieren, so gilt dies in ganz besonderer Weise für diesen Abschnitt zur Politik 2.0. Was sind die Gründe dafür?

Das Vorherrschen technischer Perspektiven rührt natürlich auch daher, dass Web 2.0 nun in der Tat - wie unser Teil Elemente des Web 2.0 zeigt - eine ganze Menge mit Technik und neuartigen Tools zu tun hat. Schon allein dies führt dazu, dass viele Diskussionsanstöße auch zu Politics 2.0 und Government 2.0 aus dem Kreis derjenigen kommen, die mit der Technik vertraut sind. Umgekehrt trauen sich Experten auf dem Feld der Politik nicht an die Materie heran, weil sie sich mit den Tools nicht auskennen.

Nun macht sich dieser Vorsprung an technischem Wissen und einer speziellen Affinität zum Web 2.0 natürlich auch in den anderen von uns behandelten Bereichen (Wirtschaft 2.0, Lernen 2.0 und Gesellschaft 2.0) bemerkbar, wird aber dort teilweise durch eine zumindest semiprofessionelle Expertise vieler Nutzer kompensiert.

Das heißt, dass dort bereichsspezifische Aspekte des Web 2.0 - was damit für Lehre und Lernen, für die Verbesserung der Unternehmenskommunikation etc. erreicht werden kann - thematisiert werden. Das kann in wissenschaftlichen Diskussionen dazu aufgegriffen werden, so dass in diesen Bereichen eine systematische Reflektion des Web 2.0 und dessen Auswirkungen auf die jeweils eigenen Betätigungsfelder begonnen hat.




 

 

 

Suche nach Politics 2.0/Government 2.0

 

Eine Suche mit Google Scholar nach Beiträgen zu e-learning im Zeitraum 2010-2011 erbrachte am 08.03.2011 fast 37.000 Resultate. Eine Recherche nach "politics 2.0" erbrachte gerade mal 23, eine nach "government 2.0" 180 Resultate.

Eine zur Kontrolle durchgeführte Recherche mit Scirus, einer der herausragenden Wissenschaftssuchmaschinen, erbrachte für "politics 2.0" 566, für e-learning fast 2.400.000 Resultate, eine nach "enterprise 2.0" rund 45.500.

Andere spezielle Suchinstrumente bestätigen dieses Missverhältnis.

 

 



Defizite der Diskussion um Web 2.0 und Politik


Eben dies steht in krassem Gegensatz zur Situation bei Politics 2.0 und Government 2.0 und der Beschäftigung der zuständigen Disziplinen - zuvörderst der Politikwissenschaft - mit diesen Phänomenen. Die Zahlen im Kasten mögen dies belegen. Das hat dazu geführt, dass an Politics und Government munter ein 2.0 angehängt wird, aber die Mehrzahl derer, die so verfahren, größte Schwierigkeiten hätte, zu klären, was denn eigentlich Politik oder Regieren (ohne 2.0) bedeuten.

Dass dies zu erheblicher Verwirrung und dazu führt, dass keine vernünftige Diskussion zustandekommen kann (weil keiner weiß, wovon eigentlich genau die Rede ist), kann nicht überraschen. Dies umso mehr, weil darüber hinaus fast durchgängig versäumt wird, die Referenzebene zu benennen, die zugrunde liegt. Geht es um demokratische oder autoritäre politische Systeme? Ist die Rede vom präsidentiellen System der USA mit einem speziellen, in der politischen Kultur des Landes verankertem Verständnis von der Rolle des Staates, oder sind parlamentarische Systeme wie Deutschland oder Großbritannien gemeint? Oder geht es gar um Formen der Politik und des Regierens jenseits des Nationalstaats, wie etwa in der EU oder im Fall von global governance?

Einen guten Eindruck von einer technologisch geprägten und implizit das amerikanische Verständnis von einem möglichst schlanken Staat widerspiegelnden Perspektive vermittelt Tim O'Reillys in vielen Beiträgen beschriebenes Verständnis von "Government as a Platform", das es in den USA zu großer Popularität gebracht hat - nicht zuletzt deswegen, weil O'Reilly als derjenige, der den Begriff Web 2.0 entscheidend mitgeprägt hat, hohes Ansehen genießt. Eine gute Zusammenfassung der grundlegenden Argumentation findet sich in einem Blog-Beitrag von O'Reilly vom September 2009.




Anlage des Abschnitts


Aus dieser kurzen Bestandsaufnahme ergibt sich, dass zuerst einmal geklärt werden muss, was Politik und Regieren eigentlich bedeutet - eine alles andere als triviale Aufgabe. Anschließend wollen wir skizzieren, was die Existenz des Web 2.0 als neue Kooperations- und Kommunikationsplattform für Politik und Regieren bedeutet. Die tatsächliche Nutzung des Web 2.0 im politischen Bereich steckt noch in den Kinderschuhen. Es lassen sich aber interessante Anwendungsversuche identifizieren, die wir abschließend anhand ausgewählter Beispiele besprechen. Weitere Informationen, Seminarmaterialien und Präsentationen zum Thema "Web 2.0 und Politik" finden Sie in einem gesonderten Bereich auf der Agora-Website.














Politikbegriff

 



Was ist Politik / Regieren?

Die Antwort auf die Frage "Was ist Politik?" ist uralt, und es gibt - wie die folgende Zusammenstellung verschiedener Politikbegriffe zeigt - nach wie vor unterschiedliche Schwerpunktsetzungen.
 

Beispiele für Politikdefinitionen

 

Kategorie

Definition

 

Macht

„Politik ist die Summe der Mittel, die nötig sind, um zur Macht zu kommen und sich an der Macht zu halten und um von der Macht den nützlichsten Gebrauch zu machen“
Machiavelli, um 1515

„Die politische Wissenschaft … lässt sich als derjenige Spezialzweig der Sozialwissenschaften definieren, der sachlich-kritisch den Staat unter seinem Machtaspekt sowie alle sonstigen Machtphänomene unter Einbeziehung sonstiger Zielsetzungen insoweit untersucht, wie diese Machtphänomene mehr oder weniger unmittelbar mit dem Staat zusammenhängen.“
Ossip K. Flechtheim, 1958

„Politik ist das Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung…“
Max Weber, 1919

 

Staat

„Politik ist die Lehre von den Staatszwecken und den besten Mitteln (Einrichtungen, Formen, Thätigkeiten) zu ihrer Verwirklichung.“
Brockhaus, 1903

„Politik ist der Komplex sozialer Prozesse, die speziell dazu dienen, das Akzept administrativer (Sach-) Entscheidungen zu gewährleisten. Politik soll verantworten, legitimieren und die erforderliche Machtbasis für die Durchsetzung der sachlichen Verwaltungsentscheidungen liefern.“
Niklas Luhmann

 

Führung

„Unter Politik verstehen wir den Begriff der Kunst, die Führung menschlicher Gruppen zu ordnen und zu vollziehen.“
Arnold Bergstraesser, 1961

„Politik ist die Führung von Gemeinwesen auf der Basis von Machtbesitz.“
Werner Wilkens, 1975

 

Ordnung

„Politik ist Kampf um die rechte Ordnung.“
Otto Suhr, 1950

 

Frieden

„Der Gegenstand und das Ziel der Politik ist der Friede … der Friede ist die politische Kategorie schlechthin.“
Dolf Sternberger, 1961

 

Freiheit

„Politische Wissenschaft ist die Wissenschaft von der Freiheit.“
Franz Neumann, 1950

 

Demokratie

„Praktisch-kritische politische Wissenschaft zielt auf eine politische Theorie, die die Befunde der Gesellschaftskritik integriert. Im Begriff der Demokratie gewinnt sie einen Leitbegriff für die Analyse der politisch relevanten Herrschaftsstrukturen der Gesellschaft.“
Jörg Kammler, 1968

 

Konsens

„Politik ist die „Gesamtheit aller Aktivitäten zur Vorbereitung und Herstellung gesamtgesellschaftlich verbindlicher und/oder am Gemeinwohl orientierter und der ganzen Gesellschaft zugute kommender Entscheidungen.“
Thomas Meyer

 

Konflikt

„Politik (ist) gesellschaftliches Handeln, … welches darauf gerichtet ist, gesellschaftliche Konflikte über Werte verbindlich zu regeln.“
Gerhard Lehmbruch, 1968

„Politik ist die autoritativ (von Regierenden, von Herrschenden) verfügte Verteilung von materiellen und immateriellen Werten in der Gesellschaft.“
David Easton, 1954/1964

 

Quelle: Wikipedia - http://de.wikipedia.org/wiki/Politik (29.03.11)




Politik = Setzen von allgemein verbindlichen Regeln






politisches System



Selbstverständlich können wir hier keine grundlegende politikwissenschaftliche Diskussion zum Politikbegriff führen. Wir haben uns vielmehr entschieden, eine der heute gebräuchlichsten Definitionen von Politik zugrundezulegen, die in besonderer Weise geeignet ist, den Zusammenhang von Politik und Regieren mit dem Web 2.0 herauszuarbeiten. Es handelt sich um die letzte Definition in der Tabelle - diejenige von David Easton, die dort zusammen mit einer ähnlichen Begriffsbestimmung von Gerhard Lehmbruch zu finden ist. Den Kern dieser Definition bildet die Vorstellung von Politik als Konfliktlösung durch die Festsetzung von Regeln, die für alle Mitglieder einer Gesellschaft gleichermaßen verbindlich sind (Fachjargon: "Vornahme autoritativer Wertzuweisungen").

Die formale Festlegung dieser Regeln in Form von Gesetzen - also das Regieren - ist Sache des Regierungssystems (bzw. des politischen Systems im engeren Sinn), das vor allem Regierung, Parlament und Verwaltung umfasst. In demokratischen Systemen wirken die Bürgerinnen sowie andere Akteure an diesem Prozess in vielfältiger Weise mit. Einmal dadurch, dass die Bürger ihre Vertreter in regelmäßigen Abständen (neu) bestimmen. Darüber hinaus können sie als Mitglieder von politischen Parteien oder Verbänden ihre Interessen in den politischen Prozess einbringen. Alle zusammen - BürgerInnen, Regierung, Verwaltung, Parlament sowie das intermediäre System (Parteien, Verbände, Medien) - bilden vereinfacht gesagt das politische System (im weiteren Sinn), das die folgende Abbildung zeigt.




Modell des
Policy-Zyklus


Die Art und Weise, wie ein solches politisches System Entscheidungen trifft, kann man an einem einfachen Modell veranschaulichen, das in der Politikwissenschaft breite Verwendung findet, dem Policy-Zyklus. Natürlich haben wir alle eine gewisse Vorstellung davon, wie Entscheidungsabläufe in der Politik - also wenn es, kurz gesagt, darum geht, ein Gesetz zu verabschieden - aussehen. Den Ausgangspunkt bildet in der Regel ein Problem, zum Beispiel, dass die Gesundheitsausgaben aus dem Ruder laufen. Dann werden unterschiedliche Lösungsvorschläge dazu unterbreitet, zumeist kontrovers diskutiert und anschließend entweder einer davon oder ein Kompromiss, der Elemente mehrerer Vorschläge enthält, mit Mehrheit als Gesetz verabschiedet. Dieses Verständnis blendet allerdings zahlreiche wichtige Aspekte aus und reicht für eine systematische Herausarbeitung der Merkmale von Entscheidungsprozessen und deren Vergleich mit anderen Systemen nicht aus.

Die Vergleichende Politikforschung hat deswegen Modelle entwickelt, die genau dies - eine systematische Herangehensweise und den Vergleich - erleichtern helfen. Eines davon zeigt die nachstehende Abbildung, die verschiedene idealtypische Phasen unterscheidet, die politische Entscheidungsprozesse durchlaufen, und uns bereits durch den Begriff "Zyklus" darauf aufmerksam macht, dass sich diese Prozesse in vielen Fällen mehrfach wiederholen. Das ist aber nicht der einzige Vorzug dieses Modells. Hinzu kommt, dass es nicht nur ein vollständigeres, sondern auch ein präziseres Bild der verschiedenen Phasen vermittelt.



Phasen des
Policy-Zyklus


So geht es bei der Problemdefinition darum, dass ein bestimmtes Problem als solches ins öffentliche Bewusstsein tritt und aufgrund der Forderungen bestimmter Gruppen und dominanter gesellschaftlicher Wertvorstellungen als politisch handlungsrelevant definiert wird. In der Phase des Agenda-Setting muss darüber entschieden werden, wer sich auf der politischen Bühne, wann und in welcher Form mit dem Problem beschäftigen soll. Begleitet von Versuchen der Einflussnahme findet dann im Rahmen der Spielregeln des jeweiligen Systems und durch die von diesen bestimmten Akteure die Politikformulierung statt, an deren Ende (beispielsweise) ein Gesetz steht. In der Phase der Implementation (= Durchführung) wird das beschlossene Gesetz - in der Regel durch die Verwaltung - umgesetzt. Die daraus resultierenden Politikergebnisse und -wirkungen schließlich rufen politische Reaktionen der Zustimmung oder Ablehnung hervor, die zur Weiterführung, Veränderung (Politikneuformulierung) oder Beendigung der Maßnahme führen.






Politik 2.0?



Wie verändert das Web 2.0 das politische System?

Fragt man sich vor dem Hintergrund des Policy-Zyklus und unserer knappen Darstellung des politischen Systems, inwiefern das Web 2.0 Politik und Regieren verändert, so wird deutlich, dass praktisch alle Bereiche von Politik potenziell betroffen sind. Und genau dieser Befund macht es so schwierig, kurz und griffig zu sagen, was Politik 2.0 eigentlich bedeutet. Das Web 2.0 verändert, überlagert, beeinflusst alle Elemente des politischen Systems.




Änderung der Interessenvermittlung





intermediäres System












virtuelle agora

Parteien und Verbände verlieren exklusive Stellung





Bürgerbeteiligung


Versuchen wir es der Reihe nach (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) und beginnen wir mit einer zentralen Veränderung, die das Web 2.0 mit sich bringt. Während es im antiken Athen - der Wiege der Demokratie - möglich war, dass sich die Bürger auf dem Marktplatz (agora) versammelten, um zu diskutieren und die für den Stadtstaat (polis) wichtigen Entscheidungen zu treffen, funktioniert das in den heutigen Flächenstaaten nicht mehr. Stattdessen gibt es ein Repräsentativsystem - das heißt, die Bürgerinnen wählen Vertreter auf Zeit, die im Parlament stellvertretend Entscheidungen für das Gemeinwesen treffen.

Wir haben also die Bürger auf der einen und das Regierungssystem (Parlament, Regierung, Verwaltung) auf der anderen Seite. Dazwischen tut sich eine Kluft auf, die es zu überbrücken gilt. Die Bürgerinnen wollen und sollen ihre Interessen einbringen, die Regierenden sind auf Informationen aus der Gesellschaft angewiesen. Diesem Zweck dienen etwa die Wahlkreisbüros der Abgeordneten. Aber das reicht als Feedback-Mechanismus nicht aus. Und hier kommt das intermediäre System (Parteien, Verbände, Medien) ins Spiel, also die Organisationen, die zwischen Bürgern und Regierungssystem angesiedelt sind und zwischen ihnen vermitteln.

Parteien und Verbände bündeln Interessen und speisen sie in den politischen Prozess ein, da die einzelne Bürgerin keine Chance hat, das individuell zu tun. Dieser Prozess der Interessenvermittlung findet im wesentlichen über die Massenmedien statt. Alle heutigen Demokratien sind Mediendemokratien. An diesem Prozess der Interessenvermittlung entzündet sich auch die meiste Kritik: Stichworte sind etwa "Herrschaft der Verbände" (die Lobbyisten haben zu viel Einfluss und dominieren die Politik), "Parteienstaat" (die Parteien haben zu viel Einfluss und teilen den Staat als "Beute" unter sich auf) oder "Mediokratie" (die Medien bestimmen die Politik).

Und jetzt kommt mit dem Web 2.0 eine Plattform hinzu, die es erstmals in der Geschichte erlaubt, im virtuellen Raum eine agora zu errichten und das Athener Demokratiemodell auch in modernen Flächenstaaten einzusetzen. Damit verlieren die intermediären Organisationen ihre exklusive Stellung in der Interessenvermittlung. Über Online-Konsultationen oder Online-Brainstorming haben die Regierenden die Möglichkeit, direkt mit den (interessierten) Bürgern zu interagieren. Jede einzelne Bürgerin hat dabei die Möglichkeit, ihr Wissen und ihre Interessen direkt einzubringen.

Das sind faszinierende Möglichkeiten, deren (zögerliche) Umsetzung gerade begonnen hat. Noch ist es zu früh, um Bewertungen vorzunehmen. Es bleibt abzuwarten, wie die neuen Instrumente, kollektive Intelligenz zu nutzen (siehe Seite Weisheit der Vielen) das politische System verändern werden. Bedenkt man, dass der häufig als übermäßig empfundene Einfluss von Parteien, Verbänden und Massenmedien im Zentrum der Kritik steht, darf man sich von den neuen Web 2.0-Tools einiges versprechen. Dasselbe gilt für einen weiteren wichtigen Kritikpunkt, nämlich die zunehmende Verselbständigung bzw. mangelnde Rückbindung des politischen Systems an die Bürger. Kurz gesagt: Das Web 2.0 bietet die Chance für mehr Bürgerbeteiligung.





demokratische Kommunikationskultur


"Das Internet ändert die Strukturen unserer Öffentlichkeiten, es ändert die Funktionsweisen politischer und gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse, es macht es einzelnen einfacher, sich in politische Debatten einzumischen, es macht institutionelle Grenzen durchlässiger und Entscheidungsprozesse transparenter, es ist anders als die Massenmedien interaktiv und wird so auch genutzt: Das Internet hat das technische Potential für eine demokratische, partizipatorische Mediennutzung (...). Die Art und Weise, wie Nutzer im Web 2.0 interagieren und durch die gemeinsame Partizipation an den neuen digitalen Medien deren Möglichkeiten immer weiter ausdehnen - diese Art und Weise kommt den Vorstellungen, die sich die Denker der Moderne von einer demokratischen Kommunikationskultur gemacht haben, näher als alles, was wir bislang erlebt haben."

[Stefan Münker (2009), Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die Sozialen Medien im Web 2.0, Frankfurt/Main, S. 53-54, 76]








Definition:
Regieren 2.0











Abgrenzung zu
e-government









Zum 10-jährigen Jubiläum des "Cluetrain Manifesto" ist eine erweiterte Version des Original-Buches erschienen:


Diese Möglichkeiten, die Bürgerinnen stärker miteinzubeziehen, erstrecken sich auf alle Phasen des Policy-Zyklus, so dass man Regieren 2.0 folgendermaßen definieren könnte:

Regieren 2.0 heißt, dass das politische System bei der Vornahme autoritativer Wertzuweisungen und der damit verbundenen Aufgaben in allen Phasen des Entscheidungsprozesses – von der Problemdefinition über das Agenda-Setting, die Politikformulierung bis hin zur Durchführung und Politikneuformulierung – durch die Nutzung von Web 2.0-Anwendungen ein Höchstmaß an Transparenz, Bürgerbeteiligung sowie Kooperation und Koordination zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren, aber auch den staatlichen Institutionen untereinander sicherstellt und damit die Performanz des politischen Systems und die Qualität der Demokratie verbessert.

Das hat mit e-government, einem Begriff, der immer wieder in verschiedenen Zusammenhängen auftaucht, nichts zu tun. Bei e-government geht es (lediglich) darum, klassische Verwaltungsfunktionen durch neue digitale Instrumente zu effektivieren. Typisches Beispiel wäre etwa die elektronische Steuererklärung. Das kann verhindern, dass die Bürgerin am Schalter Schlange steht, ändert aber nichts an der Rollenverteilung und den Einflussmöglichkeiten der verschiedenen Akteure im politischen System.

Was sich verändert, ist - wie gesagt - die Rolle der intermediären Organisationen, für die das Web 2.0 eine Herausforderung darstellt. Ein instruktives Beispiel aus der Welt der Massenmedien führt der rechte Kastentext an. Neben der Rolle im politischen System ändern sich für Parteien und Verbände aber noch weitere Aspekte. Das Web 2.0 bietet ihnen (genau wie allen anderen Organisationen und Individuen) neue Kommunikationsmöglichkeiten - intern mit den Mitgliedern wie auch extern mit der Gesellschaft. Parteien und Politiker, Verbände und Funktionäre beginnen zu twittern, legen Facebook-Profile an, bloggen, produzieren Podcasts usw.

Dabei treffen sie in der Regel nicht den richtigen Ton. Ob Kandidaten im Wahlkampf bloggen oder das politische Spitzenpersonal sich über Videobotschaften auf YouTube an die Bevölkerung wendet - die Kommunikation folgt den alten Mustern der Massenmedien (broadcast statt conversation). Diese Problematik, die genauso Unternehmen betrifft, findet sich eindrücklich beschrieben, analysiert und karikiert im legendären und visionären "Cluetrain Manifesto" aus dem Jahr 1999 (www.cluetrain.com). Auch daran zeigt sich, dass wir am Beginn eines Übergangs stehen, der noch viele Anpassungen erfordern wird.

Was die Auswirkungen des Web 2.0 auf weitere Teile und Funktionen des politischen Systems betrifft, müssen wir uns auf Stichworte beschränken. Beginnen wir bei den Bürgerinnen und Bürgern, den Hauptgewinnern in der neuen Web 2.0-Ära. Sie wurden von Konsumenten zu Prosumenten (siehe Wirtschaft 2.0), von passiven Mediennutzern zu citizen journalists ("former audience") im Mitmach-Web, und noch nie war es so einfach, eine Gruppe zu gründen und aufrechtzuerhalten. Diese Feststellung bildet den Ausgangspunkt für Clay Shirkys ausgezeichnetes Buch "Here Comes Everybody":

 

 

 

Twitter-Account - eine Zumutung für Journalisten?

 

Die intermediären Organisationen verlieren ihre exklusive Stellung. Auch und gerade die Massenmedien kommen unter Druck. Ob Zeitungen überleben werden, ist sehr fraglich. Beinahe täglich hört und liest man von den Anpassungsschwierigkeiten der ehemaligen intermediären Platzhirsche. Eine Glosse der Stuttgarter Zeitung vom 30.03.11 weiß von einem schönen Beispiel zu berichten:

Seit Februar 2011 (also nicht gerade als Teil der Avantgarde) nutzt auch der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert den Dienst Twitter. Neben Belanglosigkeiten twittert er beispielsweise auch die Termine der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und hier beginnt das Problem mit den Hauptstadt-Journalisten der Bundespressekonferenz.

"... manche der journalistischen Schwergewichte wollen den flatterhaften Neuen Medien partout nicht folgen. In der Bundespressekonferenz entspann sich am 25. März zwischen Seiberts Stellvertreter (...) und Journalisten eine lebhafte Diskussion über die Twitter-Aktivitäten Seiberts. Eine geplante USA-Reise der Kanzlerin, die Seibert via Twitter angekündigt hatte, war der Aufreger.

'(...) Muss ich mir in Zukunft einen Twitter-Account zulegen, um über relevante Termine der Kanzlerin informiert zu werden?', fragte ein Journalist (...).

Tatsächlich ging es in der Debatte wohl in erster Linie um die Frage, ob Journalisten dadurch benachteiligt werden, dass Informationen nicht mehr als erstes über die üblichen Kanäle, sondern über Plattformen wie Twitter bekanntgegeben werden..."

[Christiane Wild: Seibert zwitschert, andere pfeifen darauf; Stuttgarter Zeitung vom 30.03.11]

Jeder möge für sich entscheiden, ob man es einem Journalisten, der von Informationen lebt, zumuten kann, dass er sich einen Twitter-Account zulegt.

Bezeichnender ist die Arroganz, die den Hintergrund für die Frage des Journalisten bildet. Er scheint es als selbstverständliches Privileg zu erachten, dass Journalisten als traditionelle gatekeeper zuerst mit Informationen bedient werden. Dass dies einer Konstellation geschuldet war, die es nicht mehr gibt, dass sich die Welt verändert hat, scheint ihm nicht in den Sinn zu kommen...

 

 




 


"Ridiculously easy group-forming matters because the desire to be part of a group that shares, cooperates, or acts in concert is a basic human instinct that has always been constrained by transaction costs. Now that group-forming has gone from hard to ridiculously easy, we are seeing an explosion of experiments with new groups and new kinds of groups." (S. 54)

Und diese Experimente mit neuen und neuartigen Gruppen haben es in sich. Sie sind der Grund, warum mit Barack Obama ein Politiker ohne Hausmacht in Washington zum ersten afroamerikanischen US-Präsidenten gewählt wurde (siehe unten). Sie haben die Protestbewegungen überall auf der Welt ermöglicht, deren Zeuge wir sind: Von den "Twitter-Protesten" nach den Wahlen im Iran (2009) über Tunesien und Ägypten (2011) bis hin zum ganzen arabischen Raum. Die Bevölkerung kann sich nun vernetzen, ohne auf herkömmliche Organisationen angewiesen zu sein. "Every webpage is a latent community" (S. 102). Und es werden noch viele Experimente mit neuen und neuartigen Gruppen folgen...

"The increase in the power of both individuals and groups, outside traditional organizational structures, is unprecedented." (S. 107)

"The power to coordinate otherwise dispersed groups will continue to improve; new social tools are still being invented, and however minor they may seem, any tool that improves shared awareness or group coordination can be pressed into service for political means, because the freedom to act in a group is inherently political. The progression (...) to increasingly social and real-time uses of text messaging from Beijing to Cairo shows us that we adopt those tools that amplify our capabilities, and we modify our tools to improve that amplification." (S. 186-187)

[alle Zitate aus: Clay Shirky (2008), Here Comes Everybody. The Power of Organizing Without Organizations, Penguin]






Obamas Wahlkampf



Beispiele für Politik 2.0 und Regieren 2.0

Das Paradebeispiel schlechthin, wann immer es um Politik 2.0 geht, ist der Wahlkampf von Barack Obama im Jahr 2008, der ihn zum Präsidenten (viele sagen: zum ersten president 2.0) gemacht hat. In der Tat war die Kampagne beeindruckend (und dient seither als Vorbild, auch und gerade in Wirtschaftskreisen). In ihrem Verlauf wurden alle Register des Web 2.0 gezogen, bis der frisch gewählte Präsident am 4. November 2008 seine denkwürdige "Victory Speech" in Chicago halten konnte, die das Video zeigt.




perfekt abgestimmte Nutzung der sozialen Medien


Obamas "Web Blitzkrieg" - wie die Kampagne häufig unschön bezeichnet wird - hat sich einmal dadurch ausgezeichnet, dass er Chris Hughes, einem der Facebook-Gründer, damals 24 (!) Jahre alt, die Konzeption seines Web 2.0-Wahlkampfs übertragen hat.

Das war natürlich ein riesiges Wagnis, einen so jungen Menschen mit einer derartigen Aufgabe zu betrauen. Ein Wagnis allerdings, das sich mehr als gelohnt hat, denn die Kampagne hat mit Erfolg alles verwendet, was das Web 2.0 zu bieten hat: Soziale Netzwerke, Podcasting, Video-Seiten, wobei hier insbesondere YouTube eine große Rolle gespielt hat, mobile Endgeräte wurden intensiv einbezogen, eine eigene Community wurde eingerichtet usw.

Die Zahlen sind legendär: Das Obama-Team hatte einen E-Mail-Verteiler mit 13 Millionen Menschen. Über 1 Milliarde E-Mails in 7000 Variationen wurden an diesen Verteiler verschickt. Außerdem gab es noch 3 Millionen SMS-Abonnenten.



 



Fakten zur Kampagne












Alle Web 2.0-Medien sind, so Clay Shirky in "Here Comes Everybody" (S. 136), "... a hybrid of tool and community".


Über die Online-Aktivitäten konnte Obama 3 Millionen Online-Spender mobilisieren, die 6,5 Millionen Mal gespendet haben. Das ergab eine Summe von mehr als 500 Millionen Dollar an Spenden, wobei die durchschnittliche Summe für eine Online-Sende bei rund 80 Dollar lag. Kommentatoren weisen darauf hin, dass deswegen Obamas Wahlkampf weder von mächtigen Lobbygruppen noch seiner eigenen Partei abhängig war und dieses ihm ein bislang unbekanntes Maß an Unabhängigkeit verschafft habe.

Er war in den 15 wichtigsten Sozialen Netzwerken vertreten und hatte dort mehr als fünf Millionen "Freunde", allein drei Millionen im wichtigsten Netzwerk Facebook. Das Team hat im eigenen YouTube Channel fast 2000 Videos eingestellt, die 80 Millionen Mal angeschaut wurden. Außerdem wurden auf YouTube 442.000 Videos von Obama eingestellt, die von Nutzern gemacht wurden. All diese Aktivitäten wurden vernetzt, wobei MyBO - quasi als digitales Hauptquartier - das Zentrum bildete.

Das Wahlkampfteam hat nämlich eine eigene, riesige Online-Community aufgebaut: MyBarackObama.com – liebevoll MyBO genannt. Diese Website hatte zu Spitzenzeiten 8,5 Millionen Besucher monatlich. 2 Millionen Menschen haben dort ihr eigenes Profil angelegt und 400.000 Blog-Einträge geschrieben. Über die Online-Community haben sich 35.000 Freiwilligen-Gruppen zusammengefunden und 200.000 Wahlkampf-Events in der realen Welt organisiert.

Das weist auf einen entscheidenden Punkt hin. Auch die ausgefeilteste Nutzung jedweder Technik gewinnt keine Wahlen. All die genannten Elemente waren zweifellos für Obamas Erfolg wichtig. Entscheidend dürfte allerdings gewesen sein, dass die BürgerInnen sich die Sache zu eigen machten und sich (auch im Web mit den neuen Möglichkeiten des Web 2.0) in einer nie gekannten Weise engagierten: Yes We Can. Dieser Slogan weist eine große Nähe zu dem auf, was das Mitmach-Web ausmacht. Diese inhaltliche Kongruenz und zeitliche Koinzidenz der "Philosophien" könnte eine entscheidende Variable gewesen sein, um den (zunächst alles andere als wahrscheinlichen) Sieg Obamas plausibel zu machen.




Lehren aus Obamas Wahlkampf für Politik 2.0






"The ideal democratic process is participatory and the Web 2.0 phenomenon is about democratizing digital technology."

[Jennifer Granick: Saving Democracy With Web 2.0, Wired]







Was bedeutet das für Politik 2.0? Wie erklärt sich der Kontrast zwischen dem engagierten Mitmachen, das wir in Obamas Wahlkampagne beobachten können, und dem zum Teil dramatischen Rückgang der Wahlbeteiligung und Befunden wie Politikverdrossenheit, unter denen viele Demokratien leiden? Das hat vielleicht damit zu tun, dass es in modernen Demokratien für den einzelnen Bürger bislang enorm schwierig, wenn nicht unmöglich war, seiner Stimme Gehör zu verschaffen. Zumindest dann, wenn er sich nicht damit zufrieden geben wollte, alle vier oder fünf Jahren am Wahltag eben diese Stimme abzugeben.

Nun hat aber das Web 2.0 die Möglichkeit geschaffen, sich viel leichter einzumischen, mitzumachen und Dinge zu bewegen. Und alles, was dazu benötigt wird, ist ein Internetanschluss. Welche Folgen verbinden sich mit diesen neuen Rahmenbedingungen? Legt man unser Fallbeispiel - Obamas Wahlkampf - zugrunde, so bestätigt sich der Befund, dass die traditionellen Massenmedien an Bedeutung für den politischen Prozess verlieren. Das wird besonders deutlich, wenn man Obamas Wahlkampf mit dem vergangener Präsidenten, wie beispielsweise John F. Kennedy, vergleicht. Zu dessen Zeit, im Wahlkampf mit Richard Nixon 1960, hatte vor allem das Fernsehen eine herausragende, wahlentscheidende Rolle gespielt - in der einseitigen Information von Kandidat(en) zu Bürgern.

Im Vergleich dazu haben Massenmedien in Obamas Wahlkampf nur eine Nebenrolle gespielt. Die sozialen Medien ermöglichten ihm, seine Botschaft in ganz anderer, direkterer, unverfälschterer Art und Weise zu vermitteln. Außerdem ist - dies ein weiterer gravierender Unterschied - aus der Einbahnstrasse vom Kandidaten zu den Bürgerinnen eine Zweibahnstrasse geworden, ergänzt durch intensive Kommunikation zwischen den Bürgern untereinander.

Eine weitere Folge der neuen Rahmenbedingungen besteht darin, dass - kurz gesagt - mehr Bürger mit weniger Geld erreicht werden können. So soll Obama Berichten zufolge weniger als 8 Millionen Dollar für seine Online-Aktivitäten ausgegeben haben, wohingegen die parallel dazu gefahrene TV-Kampagne die horrende Summe von 236 Millionen Dollar verschlungen hat.

Das Web 2.0 ist also ein, wie die Amerikaner sagen, low-cost but high-reach Medium, damit ideal für Kampagnen und dürfte es durch diese besondere Eigenschaft auch sehr viel mehr Gruppen als bislang ermöglichen, derartige Kampagnen zu fahren. Was um so attraktiver erscheint, als im Web ein potenziell besonders aktiver Personenkreis anzutreffen ist. Von daher könnte es auch eine Plattform für Bürgerbewegungen im weitesten Sinne abgeben, damit die politische Szene vielfältiger machen und sicherlich auch bürgerschaftliches Engagement erheblich befördern - ein wichtiger Aspekt gerade auch für die politische Bildung.

Fazit: Die Erfahrungen aus Obamas Wahlkampf machen Mut, dass unter den neuen Web 2.0-Rahmenbedingungen eine partizipatorische Demokratie mit aktiven, am politischen Prozess teilhabenden Bürgerinnen keine Utopie bleiben muss. Die Autoren von "Throwing Sheep in the Boardroom" schließen ihr Kapitel zu "Democracy 2.0: friends in low places" mit folgender (optimistischer) Einschätzung ab:

"Given the power of Web 2.0 - socially, commercially and organizationally - there can be no doubt that it will, inevitably, produce an e-ruptive impact on our political institutions. And if the values of democracy prevail, we can be reassured that it will bring about a better world."

[Matthew Fraser / Soumitra Dutta (2009), Throwing Sheep in the Boardroom. How Online Social Networking Will Transform Your Life, Work and World, Chichester, S. 276]




Regieren 2.0 in der Praxis



Memorandum:
"Transparency and Open Government"




Ziele




Fahrplan




Online-Brainstoming




Online-Diskussion



Weniger bekannt, aber keineswegs weniger interessant, ist die Tatsache, dass die Obama-Administration versucht hat, die Prinzipien der Wahlkampagne auch für die Regierungsarbeit fruchtbar zu machen. Das macht die USA zum fortgeschrittensten Anwendungsfall für Regieren 2.0. Deshalb wollen wir uns nun damit beschäftigen, wie Obama seit seinem Amtsantritt am 20.01.2009 versucht hat, die für ihn so positiven Erfahrungen mit Politik 2.0 während seiner Kampagne in seine Präsidentschaft mit herüberzunehmen und aus Politik 2.0 Regieren 2.0 werden zu lassen.

Wie wichtig Obama die Übernahme der während seines Wahlkampfs genutzten Instrumente in die Regierungsarbeit war, zeigt sich daran, dass er bereits am ersten Tag nach seiner Amtseinführung ein an die Spitzen seiner Administration gerichtetes Memorandum mit dem Titel "Transparenz und offenes Regieren" veröffentlichte, in dem er drei zentrale Zielsetzungen für seine Vorstellungen von Regieren 2.0 und Schritte zu deren Umsetzung formulierte. Bei den Zielsetzungen handelte es sich um:

(1) Transparentes Regieren, das sich auf umfassende Informationen für die Bürger stützen sollte. (2) Regieren mit einer weitreichenden Beteiligung der Bürgerinnen, die Effektivität und Qualität von Entscheidungen durchgreifend verbessern helfen könnte. (3) Regieren auf der Basis intensiver Kooperation zwischen Ministerien sowie zwischen Ministerien und Zivilgesellschaft im weitesten Sinne (Verbänden, NGOs, Wirtschaft etc.).

Vorschläge zur Umsetzung sollten durch den neu zu ernennenden Chief Technology Officer (CTO) in Zusammenarbeit mit anderen Diensten ausgearbeitet werden. Bei ihrer Ausarbeitung sollten die Bürger in größtmöglichen Umfang über entsprechende Web 2.0-Tools beteiligt werden. Der Fahrplan zur Umsetzung sah zuerst eine einwöchige Brainstorming-Phase vor (Ende Mai 2009), anschließend eine Diskussions-Phase und schließlich die Formulierung von Vorschlägen.

Während der Online-Brainstorming-Phase wurde auf der Website "Open Government Dialogue" die Frage diskutiert, wie die Demokratie gestärkt und die Effizienz der Regierungsarbeit durch mehr Transparenz, Beteiligung und Zusammenarbeit verbessert werden könnte. Um sich einen Eindruck von der Qualität der Beiträge zu verschaffen, lohnt es sich, die Website zu besuchen, um sich beispielhaft das eine oder andere Posting anzusehen.

Anfang Juli eröffnete ein Posting auf dem Office of Science and Technology Policy Blog (OSTP) die zweite Etappe, die Diskussions-Phase. Im Vordergrund stand nun das Bemühen, die in der ersten Phase zusammengetragenen Ideen zu präzisieren und konkretisieren: "Now tell us your detailed suggestions". Auch diese Phase war durch den Einsatz hochentwickelter Web 2.0-Tools gekennzeichnet. Auf diese Weise wurde es den Teilnehmern an der Online-Debatte so leicht wie möglich gemacht, die vorhandenen Beiträge in ihrem Zusammenhang zu sehen sowie eigene Beiträge, Kommentare und Ratings hinzuzufügen (ein Beispiel finden Sie hier).



Vorschläge werden aggregiert


Inhaltlich wurde so vorgegangen, dass die Autoren des für den gesamten Prozess federführenden OSTP Blogs die unzähligen Beiträge aus der Brainstorming-Phase zu drei, vier übergreifenden Blöcken zusammenfassten, um die Diskussion vorzustrukturieren. In der dritten und letzten Phase, der Ausarbeitung und Formulierung konkreter Vorschläge zur Umsetzung der Open Government Initiative, wurden diese Vorschläge wiederum mit raffinierter Software aggregiert.



Open Government Directive




Beispiel für Transparenz: Recovery.gov


Am 8. Dezember 2009 wurde die Open Government Directive verkündet. Parallel zu diesem Prozess wurden viele weitere Projekte gestartet, "ushering in a new era of open and accountable government meant to bridge the gap between the American people and their government", wie es auf der Website der Open Government Initiative heißt. Zugang zu den Projekten bekommt man praktisch durchgängig über diese zentrale Website. Ziel aller Maßnahmen ist Transparenz, Partizipation und Zusammenarbeit (collaboration).

Stellvertretend für viele andere Maßnahmen sei auf die Website Recovery.gov verwiesen, die insofern typisch ist, als sie neue Technologien einsetzt, um zu ermöglichen, dass die Bürgerinnen schnell und komfortabel an alle Informationen kommen. In diesem Fall kann man sich über eine interaktive Karte die Ausgaben der Regierung aus dem 800 Milliarden Dollar-Hilfsprogramm nach der Bankenkrise für Projekte in allen Teilen des Landes in Sekundenschnelle beschaffen: "See where the money is going", lautet das Motto, und das sieht man in der Tat bis ins kleinste Detail - mehr Transparenz geht nicht.




Politik 2.0:
WikiLeaks




radikal transparency







 



Oder vielleicht doch? Dieser Meinung ist zumindest WikiLeaks, ein gänzlich anders gelagertes Beispiel für Politik 2.0: Eine kleine Gruppe von Personen um Julian Assange bringt mit Hilfe einer Web 2.0-Anwendung - in diesem Fall eines Wikis - die Weltpolitik durcheinander. Im Kern geht es bei dem erbitterten Streit zwischen WikiLeaks auf der einen, hauptsächlich den USA auf der anderen Seite um die Grenzen der Transparenz. In einem Interview mit CNN hatte Obama einmal die Grenze dort gesetzt, wo die nationale Sicherheit oder die Sicherheit der Bürger gefährdet sein könnte.

Julian Assange verfolgt dagegen das Prinzip der "radical transparency". Mit der Veröffentlichung von Dokumenten des Außenministeriums und geheimer Depeschen (u.a. zum Krieg in Afghanistan) stellt WikiLeaks in Frage, ob geheimes Regierungshandeln jeglicher Form gerechtfertigt ist. Das Kernargument lautet: Wirkliche Offenlegung des Regierungshandelns kann und darf nicht von Regierungen selber kontrolliert werden. WikiLeaks tritt also für die vollständige Offenlegung aller politischen (militärischen, diplomatischen, etc.) Vorgänge ein, Obamas Open Government Directive will der Bürgerin dagegen (lediglich) mehr Einblick und Mitwirkung ermöglichen und legt dafür auch bestimmte Informationen offen, die früher der behördlichen Geheimhaltung unterlagen.

Auch die Ziele, die beide verfolgen, sind verschieden: Während der Open Government-Ansatz politisches Handeln verbessern und nachvollziehbarer machen will, ist das Ziel von WikiLeaks, vergangenes Fehlverhalten von Regierungen und ihren Exekutivorganen aufzudecken. Der Datenschutz, die Wahrung von Geheimnissen oder die öffentliche Sicherheit spielen dabei, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle (mehr hierzu finden Sie in einem Beitrag von Chris Wohlwill auf unserem Blog "Politische Bildung und Web 2.0". Auf diesem Beitrag basieren auch unsere Ausführungen zu WikiLeaks).

Das folgende Video zeigt den ersten von vier Teilen der knapp 60-minütigen Dokumentation "WikiRebels" über WikiLeaks, die äußerst sehenswert ist:




Politik 2.0 und Regieren 2.0 steckt noch in den Kinderschuhen. Auseinandersetzungen wie die um WikiLeaks werden uns noch eine ganze Zeit lang begleiten, bevor die Chancen und Grenzen der neuen Tools ausgelotet sind. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Politikwissenschaft bald in diese Debatte einbringen wird, denn das politikwissenschaftliche Instrumentarium wird unverzichtbar sein, um die vielen vereinzelten Beispiele einzuordnen und systematisch aufzuarbeiten.

Die ersten Schritte der Obama-Administration in Richtung Regieren 2.0 bieten interessantes Anschauungsmaterial. Don Tapscott und Anthony Williams zeigen in ihrem Buch "Macrowikinomics. Rebooting Business and the World" (Penguin 2010) noch weitergehende Beispiele für Politik im Zeitalter des Web 2.0 auf. Wer die Thematik vertiefen möchte, dem sei die Lektüre dieses Buches unbedingt empfohlen. Unsere anderen Literaturempfehlungen zum Thema Politik 2.0 / Regieren 2.0 finden Sie hier, die zum Web 2.0 im allgemeinen hier...

Das folgende Video fasst wichtige Aspekte von Politik 2.0 in 3 Minuten zusammen:




[Autoren: Dr. Ragnar Müller / Prof. Dr. Wolfgang Schumann]
 

 

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