Beim Web 2.0 handelt es sich – auch wenn es sich auf eine ganze
Reihe neuer Technologien stützt - nicht etwa um eine neue
Technologie, sondern vielmehr um eine Art Oberbegriff für die zweite
Welle des World Wide Web.
Er bezieht sich vor allem auf zwei
grundlegende Änderungen. Einmal den Übergang vom Lese-Web zum
Schreib-/Lese-Web mit nutzergenerierten Inhalten (Mitmach-Web), zum
zweiten Cloud Computing.
Damit haben wir keine verbindliche, allgemein akzeptierte Definition
formuliert, aber doch eine Art Grundkonsens darüber, dass diese zwei
Elemente entscheidend sind.
Voraussetzungen für beide waren eine
Reihe technischer Entwicklungen, wie insbesondere die zunehmende
Verbreitung schneller Internetverbindungen, leistungsfähigere
Hardware und neue Webprogrammiertechnologien, die es erlaubten,
Webseiten interaktiver zu gestalten und sie schneller reagieren zu
lassen, wie das bis zu diesem Zeitpunkt nur bei lokalen Anwendungen
möglich gewesen war.
Web 1.0: Konsum
Web 2.0: Mitmach-Web
Als Privatperson, als Schule, als Institut, als kleines Unternehmen
etc. selbst Inhalte ins Web zu stellen - und zwar nicht nur Text,
sondern auch Fotos, Videos oder Audiodateien - wurde vor diesem
Hintergrund fast zum Kinderspiel.
Damit verlor das Web, das über
Jahre hinweg, gleichsam als Einbahnstraße, weitgehend dem passiven
Konsum von durch professionelle Webmaster erstellten Informationen
durch die Internetnutzer gedient hatte, zum wirklich interaktiven
Medium.
Nicht konsumieren, sondern selbst Inhalte erstellen und mit anderen
teilen, heißt seither die Devise. Und diese neue Entwicklung hat in
geradezu unglaublichem Umfang Raum gegriffen, so dass die
Bezeichnung Mitmach-Web mit Fug und Recht Verwendung findet.
Wikis, Blogs, Soziale Netzwerke
Cloud Computing
Und wobei machen die Nutzer mit? Viele Tausende beteiligen sich bei
den Arbeiten an der Online-Enzyklopädie Wikipedia, viele Millionen
schreiben Blogs, die zu einem Massenphänomen geworden sind. Soziale
Netzwerke wie Facebook oder Xing verzeichnen einen geradezu
beispiellosen Zulauf. Unzählige Nutzer tauschen Videos, Musik oder
Fotos aus, arbeiten zusammen, kommunizieren, kommentieren, bewerten
etc. (siehe Elemente des Web 2.0).
Kommen wir zum zweiten Kernelement des Web 2.0, dem Cloud Computing. Was verbirgt sich dahinter?
Cloud Computing bedeutet, dass nicht nur Daten, sondern auch die
Anwendungen auf Webservern liegen und Sie als Nutzer Zugang dazu von
jedem Computer mit einer Internetverbindung und einem Webbrowser
haben. Sie brauchen also keine Microsoft Office Suite, kein lokales Mindmapping-Programm etc. mehr, sondern alles steht auf den
Webservern der Anbieter - wie etwa Google, Zoho und vielen anderen
mehr - zur Verfügung. Mit anderen Worten: Das Web wird – in immer
größerem Umfang – zum Desktop. Ein kurzes Video von Common Craft
erklärt die Grundlagen:
Dieses zweite Element tritt allerdings im Rahmen dieses Online-Lehrbuchs
etwas in den Hintergrund. Wie in der Einleitung
ausgeführt, stehen die durch das Web 2.0 ermöglichten neuen
Formen des sozialen Miteinanders und deren Auswirkungen auf
Lernen, Politik,
Wirtschaft und
Gesellschaft im Mittelpunkt. Wie
Miriam Meckel ausführt, bedarf
"das zugrunde liegende Phänomen einer durch technische Innovationen
ermöglichten neuen Form des sozialen Miteinanders mit all seinen
Folgen für die Kommunikation in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
[...] einer Bestimmung, die nicht nur den Veränderungen der Technik,
sondern auch jenen der Kommunikation in den verschiedenen Bereichen
der Gesellschaft gerecht wird. Web 2.0 ermöglicht die selbst
organisierte Interaktion und Kommunikation der Nutzerinnen und
Nutzer durch Herstellung, Tausch und Weiterverarbeitung von
nutzerbasierten Inhalten über Weblogs, Wikis und Social Networks.
Über kommunikative und soziale Vernetzung verändern die Nutzer die
gesellschaftliche Kommunikation - weg von den Wenigen, die für Viele
produzieren, hin zu den Vielen, aus denen Eins entsteht: das
virtuelle Netzwerk der sozial und global Verbundenen."
[Miriam Meckel: Aus Vielen wird das Eins gefunden - wie Web 2.0
unsere Kommunikation verändert; in: Aus Politik und Zeitgeschichte
39/2008, S. 17,
Online-Version]
Auch die Definitionen in der rechten
Spalte betonen Aspekte der Interaktion, Kooperation und
Partizipation. So wird das Web 2.0 im Glossar des Harvard Business
Manager als "Kooperationskonzept" bezeichnet, Tim O'Reilly spricht
in seiner Definition von einer "Architektur der Partizipation".
Die
Begriffe "Konzept" und "Architektur" könnten allerdings zu dem
Irrtum verleiten, beim Web 2.0 handele es sich um einen geplanten
oder steuerbaren Prozess. Das ist nicht der Fall. Das Web 2.0 bietet
lediglich eine Plattform, die erst durch die massenhafte, selbst
organisierte Nutzung Bedeutung gewinnt.
Miriam Meckel spricht in diesem Zusammenhang von einer "neuen Form
der kommunikativen Selbstorganisation" (ebda., S. 18). Der
bedeutende Kommunikationsforscher Manuel Castells hat
hierfür den Begriff "mass self-communication" geprägt.
Bereits kurz nach der Jahrtausendwende - lange bevor von Web 2.0 die
Rede war - führte Castells in Band I ("Der Aufstieg der
Netzwerkgesellschaft") seiner epochalen Trilogie zum
Informationszeitalter aus:
Definitionen von
Web 2.0
Unter dem Begriff
Web 2.0 wird keine grundlegend neue Art von Technologien oder
Anwendungen verstanden, sondern der Begriff beschreibt eine in
sozio-technischer Hinsicht veränderte Nutzung des Internets,
bei der dessen Möglichkeiten konsequent genutzt und
weiterentwickelt werden. Es stellt eine Evolutionsstufe
hinsichtlich des Angebotes und der Nutzung des World Wide Web
dar, bei der nicht mehr die reine Verbreitung von
Informationen bzw. der Produktverkauf durch Website-Betreiber,
sondern die Beteiligung der Nutzer am Web und die Generierung
weiteren Zusatznutzens im Vordergrund stehen.
[Gabler
Verlag (Hg.), Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Web 2.0,
im Internet]
Web 2.0 ist ein
Schlagwort, das für eine Reihe interaktiver und kollaborativer
Elemente des Internets, speziell des World Wide Webs,
verwendet wird. Der Begriff postuliert in Anlehnung an die
Versionsnummern von Softwareprodukten eine neue Generation
des Webs und grenzt diese von früheren Nutzungsarten ab. Die
Verwendung des Begriffs nimmt jedoch zugunsten des Begriffs
Social Media ab.
Die Entwicklung
des Internet zeigt sich nicht zuletzt an den wesentlich
höheren Datenraten, die zu neuen Webservices geführt haben.
Parallel zu dieser Entwicklung haben sich interaktive
Communities gebildet, auf deren Kommunikationsplattformen
Ideen und Vorstellungen, Fotos, Videos, Daten und Software
ausgetauscht werden. Diese neuen Webservices, mit denen
technische, soziale, wissenbasierte und freundschaftliche
Beziehungen zwischen Benutzern aufgebaut werden, haben zu der
Bezeichnung Web 2.0 geführt, die 2004 auf einer Conference
von Tim O'Reilly kreiert wurde.
Bezeichnet ein
Kooperationskonzept, das durch neue Technologien möglich wurde.
Angebote gehören zum Web 2.0, wenn die Nutzer die Inhalte
kommentieren, empfehlen oder mit anderen Angeboten verknüpfen
können. Beispiele sind Videoseiten wie Youtube, deren
Popularität vor allem auf dem problemlosen Bewerten,
Kommentieren und Einbinden der Filme in eigene Web-Seiten
beruht. Auf diese Weise verbreiten sich besonders beliebte
Filme epidemieartig im Internet.
Web 2.0 is the
network as platform, spanning all connected devices; Web 2.0
applications are those that make the most of the intrinsic
advantages of that platform: delivering software as a
continually-updated service that gets better the more people
use it, consuming and remixing data from multiple sources,
including individual users, while providing their own data and
services in a form that allows remixing by others, creating
network effects through an "architecture of participation,"
and going beyond the page metaphor of Web 1.0 to deliver rich
user experiences.
"Die Entstehung eines neuen elektronischen Kommunikationssystems,
das durch seine globale Reichweite charakterisiert ist, durch seine
Integration aller Kommunikationsmedien und durch seine potenzielle
Interaktivität, wird unsere Kultur für immer verändern." (S. 377).
Diese "potenzielle Interaktivität" wurde durch das Web 2.0 Realität und
die "massenhafte Selbst-Kommunikation" zum hervorstechendsten Merkmal.
In seinem Fazit zu Band I fasst er zusammen, warum er "Netzwerkgesellschaft"
für die treffende Bezeichnung unserer Gesellschaften hält:
"Es lässt sich als historische Tendenz
festhalten, dass die herrschenden Funktionen und Prozesse im
Informationszeitalter zunehmend in Netzwerken organisiert sind.
Netzwerke bilden die neue soziale Morphologie unserer Gesellschaften,
und die Verbreitung der Vernetzungslogik verändert die Funktionsweise
und die Ergebnisse von Prozessen der Produktion, Erfahrung, Macht und
Kultur wesentlich. Zwar hat es Netzwerke als Form sozialer Organisation
auch zu anderen Zeiten und in anderen Räumen gegeben, aber das neue
informationstechnologische Paradigma schafft die materielle Basis dafür,
dass diese Form auf die gesamte gesellschaftliche Struktur ausgreift und
sie durchdringt." (S. 527)
Manuel Castells legte
mit seiner Trilogie über das Informationszeitalter eine umfassende
soziologische Theorie der gegenwärtigen Gesellschaft vor. Er
analysiert die sozialen Transformationen der vernetzten Welt im
globalen Maßstab. Seine Trilogie bezeichnet eine neue
Gesellschaftsform, die Informations- und Netzwerkgesellschaft (Website
von Manuel Castells).
Verunsicherung als Resultat der Umwälzungen
Wie alle großen Umwälzungen - viele
vergleichen die gegenwärtigen Änderungen mit dem tiefgreifenden Wandel
aller Lebensbereiche, den die industrielle Revolution nach sich zog -
führt auch der "Aufstieg der Netzwerkgesellschaft" zu weit verbreiteter
Unsicherheit:
"Die neue soziale Ordnung, die
Netzwerkgesellschaft erscheint den meisten Menschen zunehmend als eine meta-soziale Unordnung. Nämlich als eine automatisierte, zufällige
Abfolge von Ereignissen, die sich aus der unkontrollierbaren Logik von
Märkten, Technologie, geopolitischer Ordnung oder biologischer
Determination ergeben." (S. 535)
[alle Zitate aus:
Manuel Castells (2004): Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft. Teil I
der Trilogie "Das Informationszeitalter", Opladen: UTB 8259]
Wie in der Einleitung zu diesem Online-Lehrbuch
ausgeführt, geht es uns um eine vorläufige Bestandsaufnahme eben dieser tiefgreifenden Änderungen. In
den jeweiligen Abschnitten versuchen wir, die
Auswirkungen auf Lehren und Lernen,
Politik,
Wirtschaft und Gesellschaft zu beleuchten.
Es gibt zwar keine
allgemein anerkannte Definition von Web 2.0, aber es herrscht
Konsens darüber, dass (zumindest) die folgenden Anwendungen,
Dienste und Aktivitäten zum Web 2.0 gehören:
Blogs /
Microblogging (Twitter)
Wikis (v.a.
Vorzeigeprojekt Wikipedia)
Tagging und
Folksonomy
Social
Bookmarking (Diigo, Delicio.us etc.)
Media
Sharing (YouTube, Flickr etc.), Podcasts und Mash-ups
Social
Networks (MySpace, Facebook etc.)
RSS Feeds
und News Reader
Kollaborative Online-Arbeitsumgebungen (Webapps wie Zoho, Google Docs
etc.)
Auch medienhistorisch stellt das Web (2.0) eine Zäsur dar, wie Stefan Münker in seinem lesenswerten Essay "Emergenz digitaler Öffentlichkeiten.
Die Sozialen Medien im Web 2.0" ausführt. Seine Definition von Web
2.0 lautet:
"Unter 'Web 2.0' versteht man ganz allgemein den Trend,
Internetauftritte so zu gestalten, dass ihre Erscheinungsweise in
einem wesentlichen Sinn durch die Partizipation ihrer Nutzer (mit-)bestimmt
wird (...). Der Begriff 'Web 2.0' ist tatsächlich mehr als ein
Schlagwort - er ist eine Chiffre für eine ebenso radikale wie
unaufhaltsame Veränderung nicht nur unserer digitalen Medien, sondern
unserer Welt." (S. 15, 28)
"Das Internet wurde, das kann man ohne Übertreibung sagen, im Lauf der
letzten Jahre tatsächlich noch einmal neu erfunden - und als Web 2.0 in
seiner Rolle für die Beförderung sozialer Interaktion noch einmal neu
entdeckt. Wenn das Internet eine Medientechnik darstellt, die immer
schon potentiell interaktiv ist, so realisieren sich unter dem
Titel Web 2.0 innerhalb des Internet Medien, für die Interaktivität kein
Potential, sondern eine conditio sine qua non, eine notwendige
Bedingung ihrer Existenz ist. Die Angebote im Web 2.0 sind digitale
Netzmedien, deren gemeinschaftlicher Gebrauch sie als brauchbare
Medien überhaupt erst erzeugt." (S. 70-71)
"Der Aspekt der medienhistorischen Zäsur durch die Digitalisierung (...)
betrifft den tatsächlich paradigmatischen Wandel, den das Auftauchen der
Technik des Computers für die Genese und Entwicklung von Medien bedeutet.
Der Computer (...) ist ein technisches Gerät, das in der Lage ist, auf
digitalem Wege alle anderen Medien zu simulieren. Manche nennen den
Computer deswegen auch 'Universalmedium'; ich ziehe es vor, den Computer
gar nicht als Medium zu bezeichnen - sondern als eine Universaltechnik,
die alle Medien generieren kann. (...) Wenn wir alle den Computer
nicht gänzlich missverstehen, dann besteht die medienhistorische Zäsur
seiner Einführung darin, dass er jede Grenze, die seine digitale Technik
der medialen Nutzung setzt, aufgrund der Eigenheit eben dieser Technik
immer schon überschritten hat. (...) Wenn die Technik aber dem Gebrauch
von Medien keine Grenzen mehr setzt, sondern nur noch Möglichkeiten
bietet - dann ist der paradigmatische Wandel deutlich: Es geht überall
dort, wo wir es mit digitalen Medien zu tun haben, im Prinzip nur
noch um die Erkundungen, nicht mehr um Beschränkungen. (...) Wenn
technisch alles möglich ist, dann bleibt es die Aufgabe der Mediennutzer,
durch ihr Nutzungsverhalten die weitere Entwicklung voranzutreiben." (S.
64-65)
[alle Zitate aus:
Stefan Münker (2009): Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die Sozialen
Medien im Web 2.0, Frankfurt/Main]
Web 1.0 versus
Web 2.0
Das folgende Schaubild fasst noch einmal zusammen, was das Web 2.0
ausmacht, indem es Web 1.0 (eine rückblickend in Gebrauch gekommene
Bezeichnung für die Anfangsjahre des World Wide Web) und Web 2.0
gegenüberstellt:
[Autoren: Dr. Ragnar Müller / Prof. Dr. Wolfgang Schumann]
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