In diesem Abschnitt des Online-Lehrbuchs geht es um die Frage,
welche Auswirkungen auf Lehren und Lernen mit dem Web 2.0 verbunden
sind. Was bedeutet es für Lehren, Lernen und ganz allgemein für
diejenigen, die mit Informationen und Wissen umgehen, die
knowledge worker?
Was könnte Lernen 2.0 in einer Welt bedeuten, in der trotz immer
längerer formaler Ausbildungszeiten die erworbenen Kenntnisse und
Qualifikationen schon lange nicht mehr für ein Berufsleben von 30
oder 40 Jahren ausreichen? Hartmut von Hentig weist darüber hinaus
auf "das Problem aller Pädagogen der Neuzeit" hin, "dass sie auf ein
Leben vorbereiten, das sie selbst nicht kennen."
[Hartmut von Hentig, Ach, die
Werte! Über eine Erziehung für das 21. Jahrhundert, Beltz: Weinheim/Basel
2007, 4. Auflage, S. 22]
Spätestens seit dem
UNESCO-Bericht zur Bildung für das 21. Jahrhundert, einem
zentralen Dokument der internationalen Bildungsdebatte, zählt die
Fähigkeit zum lebenslangen Lernen zu den wichtigsten
Schlüsselqualifikationen. Es ruht nach Einschätzung der Autoren der
Studie auf vier Säulen, wie das folgende Schaubild veranschaulicht:
"Der Gedanke vom lebenslangen Lernen ist einer der Schlüssel zum 21.
Jahrhundert (...). Es handelt sich hier um keine neue Erkenntnis, denn
frühere Untersuchungen zu Bildungsfragen haben auf die Notwendigkeit
hingewiesen, dass Erwachsene wieder die Schule besuchen. So lernen sie,
sowohl im Privat- wie auch im Berufsleben, mit neuen Situationen fertig
zu werden. Dieser Bildungsbedarf besteht noch immer, ja, er nimmt sogar
zu. Der einzige Weg, ihn zu befriedigen, ist, dass jeder lernt, wie man
lernt."
[Lernfähigkeit: Unser verborgener
Reichtum. UNESCO-Bericht zur Bildung für das 21. Jahrhundert. Hrsg. von
der Deutschen UNESCO-Kommission. Neuwied; Kriftel; Berlin: Luchterhand,
1997, S. 18]
Web (2.0) überwindet alte Probleme:
Verfügbarkeit von Wissen
geografische Distanz
Sprachbarriere
Lernen lernen stellt also eine zentrale Bildungsaufgabe dar.
Was sich hierbei durch das Web (2.0) geändert hat, wird deutlich,
wenn man sich in Erinnerung ruft, dass der Alltag im Umgang mit
Wissen, Forschung und Lernen jahrhundertelang durch drei zentrale
Probleme geprägt war:
(1) Erstens die mangelnde Verfügbarkeit von Wissen, das nur einem
kleinen Kreis zugänglich und weit über den Erdball verteilt war.
(2) Zweitens die Tatsache, dass die Experten zu den verschiedenen
Themengebieten - und dazu gehören durchaus nicht nur Wissenschaftler
- weit über den Globus verstreut waren. Kommunikation, von
regelmäßigem intensiven Wissensaustausch ganz zu schweigen, war
unmöglich oder doch zumindest außerordentlich schwierig.
(3) Drittens schließlich die Sprachbarriere.
Und nun vergleichen Sie das mit der heutigen Situation.
(ad 1) Das Web ist zum zentralen Repositorium menschlichen Wissens
geworden, das jedem per Mausklick 24 Stunden am Tag zur Verfügung
steht. Und in Zeiten des Web 2.0 stellt das Internet nicht mehr
länger nur ein beeindruckendes Reservoir menschlichen Wissens dar,
sondern wird zunehmend auch zu dem Ort, an dem Wissen
generiert wird. Was Lernen angeht,
hat somit das Web 2.0 das Internet zu einem noch bedeutsameren
Instrument gemacht.
(ad 2) Eine weltweite Kommunikation und intensive Zusammenarbeit
zwischen Menschen, die sich intensiv für eine Materie interessieren
- und sei es auch in der kleinsten Nische und in einem noch so
exotischen Fachgebiet - ist ohne Probleme möglich. Sie können heute
in einem weltweit verstreuten Team so intensiv kooperieren, als ob
sie im gleichen Gebäude säßen.
(ad 3) Diese enge weltweite Kooperation wird auch nicht mehr im
gleichen Maß durch die Sprachbarriere behindert. Es ist möglich, in
Sprachen zu recherchieren, deren Schrift man nicht einmal lesen kann.
Ein Schriftwechsel mit einem japanischen oder russischen Kollegen
wird möglich, ohne dass der eine die Sprache des anderen versteht.
Während wir bei einem realen Treffen auf Zeichensprache
angewiesen wären, können wir über das Web kommunizieren.
Die Rahmenbedingungen ändern sich also grundlegend. Der alte
Menschheitstraum vom überall und jederzeit verfügbaren Wissen
scheint Wirklichkeit werden zu können. Mit dem Web steht zumindest
die entsprechende Plattform zur Verfügung. Allein schon dieser
Aspekt stellt Lehrende und Lernende vor gänzlich neue
Herausforderungen. Aber Lernen 2.0 ist mehr als Lernen im Zeitalter
des überall verfügbaren Wissens.
Bildung 2.0
Wissen ist dank
der informations- und kommunikationstechnologischen Revolution
unserer Tage grenzenlos (und grenzübergreifend)
reproduzierbar, aber gleichzeitig auch beliebiger,
ungeordneter und fragwürdiger geworden.
Aus dieser
Situation ergibt sich die Notwendigkeit eines neu gefassten
Begriffs von Bildung, für den die Fähigkeit zur Bewertung und
zum kritischen Hinterfragen von Informationen maßgeblich ist.
Die ‚reflexive
Kompetenz’ (Peter Strohschneider), von Information zu Wissen
und von Wissen zu Sinn zu gelangen, wird damit zu einer für
den Bildungsbegriff zentralen Kulturtechnik, deren
sachgerechte Entwicklung und Vermittlung für die mit Bildung
befassten Einrichtungen unserer Gesellschaft eine nicht mehr
zu umgehende Herausforderung bildet.
[Hans N.
Weiler, Bildung im Zeitalter ihrer technischen
Reproduzierbarkeit; in: Schlüter/Strohschneider (Hg.), Bildung?
Bildung! 26 Thesen zur Bildung als Herausforderung im 21. Jh.,
Lizenzausgabe für die
Bundeszentrale
für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 790, Bonn 2009,
S. 100]
Die (...) ‘lnformationsgesellschaft’ erhöht die
Zugangsmöglichkeiten zu Daten und Fakten - Ausbildung sollte
daher jeden in die Lage versetzen, Informationen zu sammeln
und auszuwählen, zu ordnen, mit ihnen umzugehen und sie zu gebrauchen. Bildung sollte sich also ständig den
Veränderungen der Gesellschaft anpassen; sie muss die
Errungenschaften, die Grundlagen und den Reichtum
menschlicher Erfahrung weitergeben.
[Lernfähigkeit:
Unser verborgener Reichtum. UNESCO-Bericht zur Bildung für das
21. Jahrhundert. Hrsg. von der Deutschen UNESCO-Kommission.
Neuwied; Kriftel; Berlin: Luchterhand, 1997, S. 19]
Es reicht nicht
mehr, jedes Kind schon früh mit einer bestimmten Wissensmenge
zu versorgen, von der es dann in Zukunft zehren kann. Jeder
einzelne muss befähigt werden, sein ganzes Leben hindurch
lernen zu können, um sein Wissen zu mehren, Fertigkeiten und
Qualifikationen zu erwerben und sich einer wandelnden,
komplexen und miteinander verknüpften Welt anpassen zu können.
[Lernfähigkeit:
Unser verborgener Reichtum. UNESCO-Bericht zur Bildung für das
21. Jahrhundert. Hrsg. von der Deutschen UNESCO-Kommission.
Neuwied; Kriftel; Berlin: Luchterhand, 1997, S. 73]
Teamarbeit
Kollaboration
Ein anderes charakteristisches Element des Web 2.0 besteht in der
Möglichkeit, Informationen mit anderen zu teilen. Das eröffnet Optionen
für Lehren und Lernen, wie sie noch vor wenigen Jahren undenkbar waren.
Hinzu kommt, dass sich auch die früher allein am heimischen PC
vollzogene Arbeit an Texten und Präsentationen, die Planung der
Konzeption für ein Manuskript mit Hilfe einer Mind-Mapping-Software und
vieles andere mehr ins Web verlagern lassen. Dort können die Dokumente
und Mind-Maps gemeinsam mit Kollegen, Studierenden oder Schülerinnen
bearbeitet werden.
Was bedeutet das bisher Gesagte für Lernen im 21. Jahrhundert? Es heißt
nichts anderes, als dass das Web 2.0 dabei ist, die Art und Weise, wie
wir lernen, grundlegend zu verändern. Wir lernen nicht mehr länger nur,
indem wir Vorträge und Vorlesungen besuchen oder Bücher lesen, deren
Inhalt oft schon beim Erscheinen veraltet ist. Lernen beschränkt sich
nicht mehr darauf, Wissen aufzunehmen und Lernende sind nicht mehr nur
Wissenskonsumenten.
Wissen teilen
web literacy als zentraler Bestandteil von Lernen lernen
Lernen heißt heutzutage, sich im Internet die aktuellen Informationen zu
beschaffen, Wissen und Ideen mit anderen im Rahmen der sich
herausbildenden, webgestützten sozialen Netzwerke zu teilen und zu
diskutieren und selbst aktiv zu den in diesen Netzwerken verfügbaren
Inhalten beizutragen. Diese Aspekte findet man in zahlreichen
Publikationen detailliert beschrieben und erörtert, unter anderen in dem
hervorragenden Buch von Will Richardson, "Blogs, Wikis, Podcasts and
Other Powerful Web Tools for Classrooms" (Thousand Oaks 2006), das
Anfang 2011 auch auf deutsch erschienen ist. Hinweise zu den
Einsatzmöglichkeiten der verschiedenen Web 2.0-Anwendungen finden Sie
auch auf der Seite "Elemente des Web 2.0".
Welche Schlussfolgerungen sind daraus zu ziehen? Die entscheidende
Erkenntnis besteht darin, dass (lebenslanges) Lernen auf der einen, PC
und Internet - und hier vor allem das Web 2.0 - auf der anderen Seite
untrennbar miteinander verbunden sind. Lernen lehren muss also heute die
Vermittlung von web literacy, die notwendig ist, um die
vielfältigen Möglichkeiten des Web (2.0) voll ausschöpfen und nutzen zu
können, als einen zentralen Pfeiler einschließen. Hier stellt sich
natürlich das Problem, dass (ausgerechnet) Digital Immigrants den
Digital Natives diese Qualifikationen beibringen sollen (siehe Seite "Digital Natives").
Lernen basierte in der Vergangenheit und basiert auch noch heute vor
allem auf Lehr- oder Schulbüchern. Vielleicht noch hier und da ein
Zeitungsausschnitt oder auch einmal ein Film - das wars. Außerdem
hatten Lernende außerhalb der Bildungsinstitutionen nur sehr begrenzt
Zugang zu darüber hinausgehenden Informationen. Heute dagegen ist für
alle das Wissen der Menschheit nur einen Mausklick entfernt, und die
Informationen im Web sind weitaus aktueller und umfangreicher, als das
ein Schulbuch je sein könnte. Die Fähigkeit, dieses Reservoir effektiv
nutzen zu können, ist damit zu einer entscheidenden
Schlüsselqualifikation geworden, die in der Schule vermittelt werden
muss (siehe Seite "Wikipedia verstehen").
Web (2.0) literacy als Schlüsselqualifikation wird noch bedeutsamer,
wenn man bedenkt, dass das Web 2.0 neue und innovative Möglichkeiten
anbietet, um den riesigen und stetig wachsenden Umfang an Informationen,
dem wir ausgesetzt sind, zu bewältigen. Man denke etwa an die heute
allgegenwärtigen RSS-Feeds, ein elektronisches Nachrichtenformat, das
dem Nutzer ermöglicht, die Inhalte einer Website – oder Teile davon - zu
abonnieren (siehe Seite "Elemente des Web 2.0").
Lernen als Prozess
Ein weiterer Aspekt:
Von Generationen von SchülerInnen und Studierenden wurde vor allem eines
erwartet, die Fähigkeit, alleine zu arbeiten und ihr Referat, ihre
Präsentation oder ihr Seminarpapier für ihre Lehrerin oder ihren
Dozenten zu erstellen. Und wenn die Arbeit daran beendet war, dann war
sie genau das: endgültig fertig. Mit Web 2.0 beginnt sich das zu ändern. SchülerInnen können beispielsweise ein Wiki für ein kleines
Publikum - und sei es nur für die anderen Schüler der Klasse und/oder
ihre Eltern - erstellen. Die dort eingestellten Inhalte können
kommentiert, verändert und ergänzt werden. Sie sind also eigentlich nie
fertig. Sehen Sie sich bei Wikipedia einmal statt des Artikels die
Diskussionsseite zum jeweiligen Artikel an, dann bekommen Sie einen
Eindruck, wovon hier die Rede ist (siehe Seite "Wikipedia
verstehen").
Das bedeutet einen Paradigmenwechsel. Wir müssen Schülern, Studierenden
und ganz allgemein Lernenden klar machen, dass ihre Beiträge nicht (nur) Endprodukt sein
sollen, sondern auch Ausgangspunkt für andere, die sich damit
auseinandersetzen und Inhalte ergänzen, verfeinern oder aktualisieren.
Beim Lernen unter den Vorzeichen von Web 2.0 geht es nicht mehr primär
um das Speichern von Wissen, sondern um einen Prozess, in dessen Rahmen
Ideen ausgetauscht und verbessert werden.
Informationen kritisch prüfen können
In der Zeit der Lehrbücher und der dicken mehrbändigen Enzyklopädien,
die schon allein durch ihr beachtliches Gewicht Seriosität
signalisierten, konnte man sicher sein, dass die dort angebotenen
Inhalte, wenn auch häufig schnell veraltet, sorgfältig durch Experten
geprüft worden waren.
Das allerdings ist heute nicht mehr gegeben. Da
jede und jeder im Web publizieren kann, müssen wir viel mehr als früher
kritische Wissenskonsumenten werden und selbst die Aufgabe der
Überprüfung übernehmen, wie das früher Herausgeber oder Redakteure getan
haben. Auch hierbei handelt es sich um eine Fähigkeit, die erlernt
werden kann und muss - gerade auch von den Digital Natives, denen
diesbezüglich häufig das Problembewusstsein fehlt (zum Begriff und der
Debatte um Digital Natives versus Digital Immigrants siehe die Seite
Digital Natives).
Die Fähigkeit zur kritischen Prüfung der überall und jederzeit
verfügbaren Informationen - darüber scheint Einigkeit zu herrschen -
stellt eine Schlüsselkompetenz im Rahmen des Lernens 2.0 dar. So
schreibt etwa Hans N. Weiler in seinem lesenswerten Essay "Bildung
im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit":
"Moderne Technologien machen Informationen unbegrenzt und überall
verfügbar - allerdings weitgehend beliebig, ungeordnet und
unbewertet. Damit aus solch grenzenloser Information sinnvolles
Wissen werden kann, bedarf es der Vermittlung analytischer,
kritischer und normativer Fähigkeiten, die in der zeitgenössischen
Bildungslandschaft jedoch eine eher marginale Rolle spielen."
[in: Schlüter/Strohschneider (Hg.), Bildung?
Bildung! 26 Thesen zur Bildung als Herausforderung im 21. Jh.,
Bundeszentrale
für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 790, Bonn 2009,
S. 93]
Weiler fordert deshalb, "Wissenskunde" als neues Pflichtfach in den
Fächerkanon aufzunehmen. Winfried Schulze (siehe rechter Kastentext)
weist in demselben Sammelband darüber hinaus auf eine häufig
vernachlässigte Kompetenz hin: Neben den allgemein anerkannten
Kompetenzen zum Erwerb und zur Prüfung von Wissen ergänzt er eine
dritte Kompetenz, nämlich die Kompetenz, unbrauchbar gewordene
Wissensbestände auszuscheiden.
Bildung 2.0
Angesichts der
offenkundigen Unmöglichkeit, Bildung allein über fest
definierte kognitive Kerne zu definieren, die auf
verschiedenen Stufen der Ausbildung von Schülern und Studenten
zu lernen wären, kann eine Neuorientierung von Bildung sich
letztlich nur über ein Set von Kompetenzen definieren, die
junge Menschen in die Lage versetzen, das beruflich und
gesellschaftlich notwendige Wissen zu erwerben, es kritisch
zu prüfen und gegebenenfalls unbrauchbare Wissensbestände
auszuscheiden.
Die Kompetenz zum
Erwerb dieses Wissens bedeutet die Fähigkeit, sich die
relevanten Wissensbestände im jeweils notwendigen Grad von
Spezialisierung zu verschaffen.
Die Kompetenz zur
kritischen Prüfung zielt ab auf die Fähigkeit, den
Richtigkeitsgehalt der so ermittelten Wissensbestände zu
überprüfen und argumentative Strukturen und Grundregeln für
den Beleg von wahren Behauptungen zu erkennen.
Schließlich muss
die Kompetenz entwickelt werden, bestimmte Wissensbestände zu
deaktivieren, was angesichts der (...) schnellen
Wissensvermehrung besonders notwendig erscheint.
Insgesamt ließe
sich aus diesen Anforderungen ein Set von Kompetenzen
entwickeln, die sich vor allem auf die Entwicklung einer
kritisch-rational argumentierenden und handelnden
Persönlichkeit beziehen.
[Winfried
Schulze, Kompetenz statt Bildung!; in: Schlüter/Strohschneider (Hg.), Bildung?
Bildung! 26 Thesen zur Bildung als Herausforderung im 21. Jh.,
Lizenzausgabe für die
Bundeszentrale
für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 790, Bonn 2009,
S. 26f.]
nicht mehr nur Text
Ein weiteres Beispiel für die Auswirkungen des Web 2.0 auf Lehren und
Lernen: „Schreiben“ im Sinne von seine Gedanken ausdrücken,
mit anderen über Inhalte kommunizieren und Publizieren ist nicht mehr
auf reinen Text begrenzt. Zunehmend kommen Audiodateien, digitale Fotos
und Videos hinzu. Und das mit gutem Grund, bieten doch diese
multimedialen Ausdrucksformen fantastische Möglichkeiten in allen
Bildungszusammenhängen. Sehen Sie sich als ein Beispiel unter vielen
das Video der Rede von Severn Suzuki beim Earth Summit in Rio de Janeiro
1992 an ("The girl who silenced the world for six minutes"):
Lehrerrolle
Angesichts der auf dieser Seite angesprochenen Änderungen kann es nicht
überraschen, dass sich die Rolle des Lehrenden ändert. Ging es früher in
der Hauptsache um die Vermittlung von Informationen, sind Lehrende im
Zeitalter der überall und jederzeit verfügbaren Informationen vorrangig
als Moderator und Lernbegleiter gefordert. Ehemals klare Grenzen wie die
zwischen Lehrendem und Lernendem verschwimmen. Die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen
wie web literacy erhält eine noch größere Bedeutung,
Orientierungswissen verdrängt Faktenwissen, das immer schneller veraltet.
Besonders augenfällig zeigt sich das an einem klassischen Bildungsformat,
der universitären Vorlesung, die in ihrer ursprünglichen Form - dem
Vorlesen des Buches, das nur in kleiner Auflage und sehr teuer zur
Verfügung stand - natürlich schon vor dem Web ein Anachronismus war.
Universität 2.0
kollaboratives Lernen
Wie könnte demgegenüber die Universität 2.0 aussehen? Darüber haben sich
die Autoren des einflussreichen Buchs "Wikinomics. How Mass
Collaboration Changes Everything", Don Tapscott und Anthony D. Williams,
Gedanken gemacht (zu Wikinomics siehe
Wirtschaft 2.0). In einem Artikel für die Zeitschrift EDUCAUSE
Review (vol. 45, no. 1, January/February 2010, 16-29) führen Sie aus,
dass die Diskussion über die Zukunft der Universität bislang am Kern der
Sache vorbeigehe. Die meisten Lösungsvorschläge...
"...don't address the fundamental problems
with the university or show a way forward. Rather, change is required in
two vast and interwoven domains that permeate the deep structures and
operating model of the university: (1) the value created for the main
customers of the university (the students); and (2) the model of
production for how that value is created. First we need to toss out the
old industrial model of pedagogy (how learning is accomplished) and
replace it with a new model called collaborative learning. Second we
need an entirely new modus operandi for how the subject matter,
course materials, texts, written and spoken word, and other media (the
content of higher education) are created. We believe that if the
university opens up and embraces collaborative learning and
collaborative knowledge production, it has a chance of surviving and
even thriving in the networked, global economy."
Wer diese überaus interessante und
wichtige Thematik vertiefen möchte, dem sei neben der Lektüre des
zitierten Aufsatzes das neue Buch von Tapscott/Williams empfohlen: "Macrowikinomics.
Rebooting Business and the World" (Portfolio Penguin, 2010). Teil IV des
Buches - "Learning, Discovery, and Well-being" - beschäftigt sich u.a.
mit den Themen "Rethinking the University: Collaborative Learning" und
"Science 2.0: Igniting Knowledge Creation in a Networked World".
Das folgende Video zeigt ein Interview mit Don Tapscott über das Buch:
Tapscott/Williams zählen im Rahmen der Debatte um die Auswirkungen des
Web 2.0 zu denjenigen, die revolutionäre Änderungen in praktisch allen
Bereichen erwarten. Am anderen Ende des Spektrums stehen diejenigen, die
zwar anerkennen, dass es im Zusammenhang mit Web 2.0 zu Änderungen und
Anpassungen kommen wird, die diesen aber keine grundlegende Qualität
beimessen. Beispielhaft sei auf eine Handreichung der
Hochschulrektorenkonferenz in Deutschland verwiesen. Diese kommt zu dem
Fazit:
"Generell steht zu erwarten, dass sich die
Hochschulen im Zuge der aktuellen und zukünftigen Entwicklungen des
Internets und der Internetnutzung wenn schon nicht dramatisch, so doch
sukzessiv verändern werden. Dies gilt besonders im Hinblick auf
Infrastrukturen, Prozesse und Services im Bereich des Informations- und
Kontaktmanagements. Dagegen wird der durch Web 2.0-Anwendungen
ausgelöste Wandel in Lehre und Forschung eher graduell und inkrementell
ausfallen."
[Hochschulrektorenkonferenz (Hg.):
Herausforderung Web 2.0, Beiträge zur Hochschulpolitik 11/2010,
Online-Version, pdf]
neue Lernkultur
Wie weitreichend die Auswirkungen des Web 2.0 auf Lehren und Lernen sein
werden, ist also umstritten, nicht aber die Tatsache, dass sich etwas
ändern wird. Hinzu kommt, dass sich die Debatte um die Auswirkungen des
Web 2.0 mit anderen Debatten überschneidet, insbesondere mit der
Diskussion um eine neue Lernkultur, die sich mit Begriffen wie
selbstbestimmtes Lernen und konstruktivistischen Lerntheorien verbindet.
Ohne diese Aspekte hier vertiefen zu können, sei darauf hingewiesen,
dass das Web 2.0 den Übergang vom traditionellen zu einem
konstruktivistischen Paradigma - wie ihn das folgende Schaubild zeigt -
zu befördern prädestiniert ist.
In einem rund einstündigen Vortrag aus dem Jahr 2008 fasst Michael
Wesch viele der hier genannten Aspekte zum Thema Lernen 2.0 auf
eindrucksvolle Weise zusammen:
[Autoren: Dr. Ragnar Müller / Prof. Dr. Wolfgang Schumann]
1998-2011 D@dalos - politische Bildung, Demokratieerziehung,
Menschenrechtsbildung, Friedenspädagogik (ein Projekt von
Pharos e.V.), Web:
Gesellschaft Agora