"Kein anderes Social-Software-Projekt hat in den letzten Jahren so
viel Aufmerksamkeit, Bewunderung und Kritik erfahren wie die Online-Enzyklopädie
Wikipedia. Das große Interesse an der Wikipedia lässt sich nicht
allein damit erklären, dass scheinbar aus dem Nichts innerhalb
weniger Jahre die größte Enzyklopädie der Welt entstand. Aufsehen
erregte vor allem, wie sie entstand: In der Wikipedia kann
nicht nur jeder Benutzer eigene Artikel erstellen, sondern auch
fremde Lexikoneinträge frei bearbeiten" (Ebersbach u.a. 2011, S.
55).
in Kooperation mit:
"Jeder kann schreiben, was er will" - das
ist die gängige Vorstellung von Wikipedia. Dass dabei nichts
herauskommen kann, scheint auf der Hand zu liegen, weswegen Wikipedia an
vielen Schulen und Hochschulen zumindest verpönt, häufig sogar verboten
ist. Die Gegner lassen sich auch nicht davon beirren, dass Studien der
Online-Enzyklopädie eine hohe Qualität bescheinigen. In diesem Abschnitt
versuchen wir, die Informationen zusammenzustellen, die für das
Verständnis dieses faszinierenden Projekts unerlässlich sind, um
abschließend zu argumentieren, warum Wikipedia in Schule und Hochschule
nicht nur eingesetzt werden kann, sondern sogar verwendet werden
sollte (siehe Fazit). Der Abschnitt gliedert sich in neun Kapitel:
“Ein Urtraum der Aufklärung scheint wahr zu werden. Dass ein Publikum
sich selbst aufkläre, schrieb einst Immanuel Kant, sei unausbleiblich,
wenn man ihm nur die Freiheit ließe, von seiner Vernunft öffentlich
Gebrauch zu machen. Die neue bunte Bildungsbürgerbewegung, die mit
Bühnen wie Wikipedia entstanden ist, fühlt sich dieser Tradition
durchaus verpflichtet. Freiheit, Nützlichkeit, Vereinsarbeit: E-mancipation
als Aufklärung Version 2.0. Ein Massenphänomen ist so entstanden, dessen
Auswirkungen bislang nur zu erahnen sind.”
[Frank Hornig: “Du bist das Netz!; in: Spiegel 29/2006, S. 62f.]
Was ist ein Wiki?
Um Wikipedia zu verstehen, muss man zunächst wissen, was ein Wiki ist,
denn dabei handelt es sich um die Software, die dem Projekt Wikipedia
zugrundeliegt (siehe auch Seite "Elemente
des Web 2.0"). Der Softwareingenieur Ward Cunningham entwickelte
bereits 1995 das erste Wiki. Er suchte nach einer Websoftware, die eine
Plattform für “shared design wisdom” bietet - ein Autorenwerkzeug,
das Publizieren ohne technische Sonderrechte oder besondere Kenntnisse
erlaubt und möglichst einfach zu bedienen ist, so dass jede/r - und
nicht nur Webmaster mit Programmierkenntnissen - im Web veröffentlichen
kann (vgl. Richardson 2011, S. 95).
Bereits die Namensgebung spiegelt die Charakteristik der Websoftware
wider; “wiki” leitet sich aus dem hawaiianischen Wort “wiki wiki” ab und
bedeutet “schnell”. Schnell und unkompliziert sollte auch die Arbeit mit
einem Wiki sein. Die bestehenden Instrumente waren verbunden mit
komplexen Anforderungen und klaren Rollenverständnissen: “Writer” und
“Editors” arbeiteten strikt voneinander getrennt (vgl. Shirky 2008, S.
111f.).
Die Wiki-Software Cunnighams löst diese Rollentrennung auf, da sie es
Nutzern ermöglicht, Webseiten zu verändern und diese Änderungen zu
speichern: “Every wiki page is thus the sum total of accumulated
changes” (ebd., S. 112). Dabei protokolliert die Software nicht nur die
Neuerungen, sondern auch vorherige Versionen der Seite. Revolutionär ist
bei diesem Konzept der Verzicht auf Kontrolle und formale Ordnung, und
das war zweifellos ein Wagnis. Doch Cunningham setzte bei seinem Konzept
auf die Zusammenarbeit der Nutzer: “People who want to collaborate also
tend to trust one another [...] without formal management or process” (ebd.,
S. 111).
Zum berühmtesten Beispiel eines Wikis wurde die Online-Enzyklopädie
Wikipedia. Richardson (2011, S. 97) bezeichnet sie als das “Ziehkind
einer kollektiven Konstruktion von Wissen und Wahrheit”. Aber die Wiki-Software
bietet noch viele weitere Nutzungsmöglichkeiten. Ein Wiki kann
beispielsweise auf den halb-öffentlichen Raum eines Unternehmens
beschränkt (interne Kommunikation der Mitarbeiter) oder für die private
Organisation der Dateien des eigenen Computers verwendet werden (vgl.
Van Dijk 2010, S. 16).
Heute gibt es unzählige Wiki-Anwendungen, und man kann Cunninghams
Erfindung ohne Zweifel als Erfolgsgeschichte bezeichnen, denn “Wikis
haben ein enormes Potenzial freigesetzt: einen sich selbst erfüllenden
positiven Kreislauf der kooperativen Schöpfung, den hierarchische
Modelle weder nachahmen noch unterbrechen können” (Tapscott; Williams
2009, S. 76). Damit haben wir den ersten Teil des Namens “Wikipedia”
geklärt und kommen im nächsten Abschnitt zur zweiten Namenshälfte, die
sich aus dem englischen Begriff “encyclopedia” ableitet.
Wikipedia - das Konzept der
Enzyklopädie
Was ist eine Enzyklopädie und welche Funktionen erfüllt sie?
Geht man dieser Frage nach, wird die Aufmerksamkeit auf einen
Sachverhalt gelenkt, der nachvollziehbar macht, warum die Online-Enzyklopädie
so erfolgreich ist: Weil sie auf einem uns allen bekannten, klar
definierten Konzept beruht, dem Konzept der Enzyklopädie.
Der Begriff “Enzyklopädie” stammt aus dem Griechischen und bedeutet
“umfassende” oder “allgemeine Bildung”. Die Enzyklopädie ist als ein
“geschlossenes, schriftbasiertes Werk zu verstehen, welches uns das
gegenwärtig relevante Weltwissen entlang Stichworten erschließt” und
dies klassischerweise in Buchform (Pscheida 2010, S. 100). Jedoch
umfasst sie nicht das gesamte Wissen, sondern einen Kurzüberblick, eine
kategorisierte, systematisierte Zusammenfassung. Bekannte Vertreter sind
u.a. Meyers Lexikon, der Brockhaus und vor allem die Encyclopaedia
Britannica (Münker 2009, S. 98).
Ziel der Intellektuellen war es Ende des 18. Jahrhunderts, “das Wissen
der Menschheit [...] zu sammeln, zu organisieren, mit Querverweisen zu
versehen und vor allem: [dieses] der Welt der Leser zur Verfügung zu
stellen. Das Projekt ist so erfolgreich, dass es über Jahrhunderte
maßgeblich unser Verständnis des Begriffs `Wissen` prägt” (ebd.). Es
gelang, sich von der bloßen Meinung (doxa) abzugrenzen und
“wahres Wissen” (episteme) zu repräsentieren.
Der Erfolg lässt sich an der Tatsache messen, dass es zur
Selbstverständlichkeit wurde, wenn Informationen über ein Thema, Wort
oder Ereignis eingeholt werden müssen, ein solches Nachschlagewerk zu
Rate zu ziehen. Diese Auskünfte gelten als Fakten, als Wissen, weil “der
dahinterliegende Prozess der Absicherung durch eine eher kleine Gruppe
von Experten für alle verbindlich die Demarkationslinie zwischen
objektiv begründetem Wissen und bloß subjektiver Meinung definiert hat”
(ebd., S. 98f.). Doch gerade dieses Expertentum, das bisher unweigerlich
mit dem Konzept der Enzyklopädie verbunden war, stellt Wikipedia auf den
Kopf - erfolgreich.
Der Traum, eine Online-Enzyklopädie zu erstellen: Nupedia wird ins
Leben gerufen
“Stellen Sie sich eine Welt vor, in der das gesamte Wissen der
Menschheit jedem frei zugänglich ist. Das ist unser Ziel!” [Wikipedia-Gründer
Jimmy Wales]
1998 versuchten Jimmy Wales und Larry Sanger diesen Wunschtraum, den
bereits die Intellektuellen des 18. Jahrhundert vor Augen hatten, in
einem neuen Konzept in die Wirklichkeit umzusetzen. Dazu riefen sie “Nupedia
- the free encyclopedia” ins Leben. Ihr Ziel war dasselbe wie später
bei Wikipedia: kostenlose Inhalte, die jedem uneingeschränkt zur
Verfügung stehen sollen und die sich schließlich zur “Summe allen
menschlichen Wissens” zusammenfügen.
Das Projekt Nupedia sollte nach dem “Peer-Review-Verfahren”
funktionieren, bei dem sich ein Autor zunächst mit entsprechenden
Qualifikationen (Universitätszeugnissen) bewerben musste. Gleichzeitig
empfahl sich der Experte für einen bestimmten Artikel. Bevor ein
geschriebener Artikel tatsächlich publiziert wurde, musste er einige
Kontrollinstanzen durchlaufen (vgl. Van Dijk 2010, S. 17).
Dieses siebenstufige Kontrollsystem durch bezahlte Experten garantierte
zwar ein hohes Maß an Qualität, bedeutete aber gleichzeitig auch
langatmige Hürden für die Artikel und damit ein enorm langsames Wachstum
für die Enzyklopädie (vgl. Tapscott 2009, S. 71). Gleichzeitig
überstiegen die Kosten schnell die Effizienz des Projektes: bis zur
Einstellung des Projekts wurden gerade einmal 24 Artikel veröffentlicht,
74 befanden sich in Bearbeitung.
Clay Shirky kommentiert: “[...] to set a minimum standard of quality,
had also set a maximum rate of process: slow” (Shirky 2008, S. 110).
David Weinberger (2007, S. 166) hält fest, dass “das Fachwissen das
Projekt [letztendlich] aufhielt”, anstatt auf Basis von Expertentum
Zuspruch zu finden und zu wachsen.
Nupedia folgte mit diesem Vorgehen einer zentralistischen und
hierarchischen Struktur einer Homepage, deren Inhalte dem Nutzer zwar
frei zugänglich sind, aber nicht von ihm oder ihr mitgestaltet werden
konnten (vgl. Tapscott 2009, S. 71). Gleichzeitig wurde das altbewährte
Konzept der Enzyklopädie in die Onlinesphäre transferiert - doch wie
sich zeigte, zunächst ohne großen Erfolg.
Die Software “Wiki” sollte diesem Stillstand entgegenwirken. Die Idee
von Jimmy Wales war hierbei 2001, dass jedem Nutzer die Möglichkeit
eingeräumt wird, einen groben Entwurf eines Artikels zu verfassen. Was
zunächst nur als Vorstufe zu Nupedia gedacht war, entwickelte schnell
eine immense Eigendynamik. Zum einen war es nun jedem Interessierten
möglich, Artikel zu erstellen; zum anderen wuchs das Projekt Wikipedia
so rasant, dass das Wiki eine eigene URL benötigte - Wikipedia wurde
geboren (vgl. Shirky 2008, S. 111f.).
Wikipedia stellt das alte Konzept auf den Kopf
Nupedia geht offline - Wikipedia wird geboren
Was ist das Neue an Wikipedia? Das bekannte Konzept der Enzyklopädie
wurde mit neuen Idealen angereichert und auf den Kopf gestellt. Nicht
mehr die Expertise bestimmt über die Inhalte, sondern von nun an sollte
das Kollektiv teilen, schreiben, publizieren und editieren. Doch diese
offene Struktur, die das Projekt ins Rollen brachte, widersprach Larry
Sangers Vorstellungen einer Enzyklopädie, so dass er Wikipedia verließ,
während sich Jimmy Wales dem Wiki immer begeisterter widmete (vgl.
Pscheida 2010, S. 348).
Wiki-Software und Open-Source-Idee verliehen der Bezeichnung “freie
Enzyklopädie” eine neue Bedeutung und beschleunigten den
Wachstumsprozess in einem ungeahnten Maß: Bereits im ersten Monat gingen
200 Artikel online, im ersten Jahr waren es 18.000 Artikel (vgl.
Tapscott 2009, S. 71). Doch bedeutet Quantität auch Qualität? Zu betonen
ist, dass Wikipedia keine reine “Bottom-up-Enzyklopädie” sein will. Ziel
ist nicht, wie Jimmy Wales betont, “ein Experiment in sozialer
Gleichberechtigung”, sondern eine “Enzyklopädie von Weltklasse”
(Weinberger 2007, S. 166).
Beide Projekte koexistierten noch eine gewisse Zeit, obwohl Wikpedia die
Nupedia längst übertroffen hatte. Die Erfolgsgeschichte der Wikipedia
setzte sich fort, während die Mutter der Wikipedia letztendlich
scheiterte und im September 2003 offline ging (vgl. Pscheida 2010, S.
348).
Die Philosophie der Enzyklopädie, das Grundgerüst von Wikipedia ist kurz
erklärt: “Jeder Nutzer kann ihre Artikel lesen; und jeder Nutzer kann
die Artikel, die er liest, zugleich bearbeiten oder auch neue Artikel
anlegen” (Münker 2009, S. 95). So soll in einem offenen Prozess
kollaboratives Wissen entstehen, ohne traditionell-hierarchische
Strukturelemente. Dieses Grundgerüst steht aber durchaus auf einem
strukturierten Fundament.
Es zeigte sich, dass gerade die Offenheit eine komplexe Organisation
benötigt - Regeln und Konventionen eingeschlossen. Um größtmögliche
Qualität der Inhalte zu liefern, hat Wikipedia-Gründer Jimmy Wales zu
Beginn des Projekts vier Grundprinzipien für offiziell erklärt - als ein
Minimum an Reglementierung und Strukturierung:
1. Wikipedia ist eine Enzyklopädie
2. Neutral Point of View
3. Freie Inhalte
4. Wikiquette
“Wikipedia ist ein Projekt zum Aufbau einer Enzyklopädie und kann
deshalb bestimmte andere Dinge nicht sein.” Dieses Statement bildet das
wichtigste Grundprinzip von Jimmy Wales. Dabei definiert sich Wikipedia
selbst als Enzyklopädie. Medienhistorisch ist die Enzyklopädie als
Gattung festgelegt und deren Grundsätze sind allgemein bekannt (vgl.
Pscheida 2010, S. 368). Mit dieser Charakteristik gehen bestimmte
Merkmale einher, gleichzeitig werden Erwartungen ausgeschlossen, die
sich nicht mit dem Konzept einer Enzyklopädie vereinbaren lassen.
Wikipedia selbst führt hierzu aus:
Was Wikipedia nicht ist
1. “Wikipedia ist kein Wörterbuch (im Sinne von
Sprachwörterbuch). In Artikeln sollen in erster Linie Begriffe
erläutert und keine gängigen deutschen Wörter erklärt werden, wie
dies ein Wörterbuch macht. Fremdwörter, Redensarten und besondere
deutsche Wörter können allerdings behandelt werden, wie auch in
gedruckten Enzyklopädien üblich. Ein reines Wörterbuchprojekt ist
das Schwesterprojekt Wiktionary.
2. Wikipedia dient nicht der Theoriefindung, sondern der
Theoriedarstellung. In Artikeln sollen weder neue Theorien,
Modelle, Konzepte oder Methoden aufgestellt, noch neue Begriffe
etabliert werden. Ebenso unerwünscht sind nicht nachprüfbare
Aussagen. [...]
3. Wikipedia ist keine Werbe- oder Propagandaplattform und
keine Gerüchteküche. [...]
4. Wikipedia ist kein Ort für Essays und kein Ort für
Fan-Seiten. Artikel sollen sachlich, objektiv und in
enzyklopädischem Stil geschrieben sein. [...]
5. Wikipedia ist kein allgemeines Diskussionsforum und
kein Chat-Raum. Artikeldiskussionsseiten dienen der
Verbesserung von Artikeln, nicht dem Austausch persönlicher
Betrachtungen zum Artikelthema.
6. Wikipedia ist kein Webspace-Provider und kein Ersatz
für die eigene Website. [...]
7. Wikipedia ist keine Rohdatensammlung großer Mengen
strukturierter Daten wie Telefonbücher, Bibliografien,
Linkverzeichnisse, Adressverzeichnisse und so weiter. [...]
8. Wikipedia ist kein Nachrichtenportal oder
Veranstaltungskalender und dient nicht der aktuellen
Berichterstattung. Einen Rahmen für Nachrichten und aktuelle
Berichterstattung bietet das Schwesterprojekt Wikinews. [...]
9. Wikipedia ist keine Sammlung von Anleitungen und Ratgebern.
[...]”
Aus dem ersten Grundprinzip direkt abgeleitet ist das zweite
Grundprinzip der Wikipedia: die Neutralität der Artikel bzw. die
Forderung nach einem neutralen Standpunkt (“neutral point of view”, oder
kurz “NPOV”). Dieses Grundprinzip steht für einen Inhalt, der nicht von
politischen, religiösen oder anderweitigen Interessen geprägt ist.
Möglichst wertneutral und frei von persönlichen Meinungen oder
Präferenzen sollen Sachverhalte objektiv dargestellt werden (vgl. Van
Dijk 2010, S. 53).
Für Jimmy Wales ist ein Artikel dann neutral, wenn die Community ihn als
neutral anerkennt. Dies sei der Fall, wenn keine Veränderungen mehr an
Inhalten vorgenommen werden und mögliche Diskussionsaspekte bezüglich
der Verletzung dieses Grundprinzips aus dem Weg geschafft wurden. Damit
folgt Wikipedia einer funktionellen Definition von Neutralität: Nicht
die Expertise entscheidet darüber, ob der “NPOV” eingehalten wurde,
sondern die soziale Interaktion zwischen den Wikipedianern.
Die bisherige Erfahrung zeigt, dass diese Vorgehensweise ordentlich
funktioniert (vgl. Weinberger 2007, S. 164). Ist der Diskussionsprozess
noch nicht abgeschlossen, weist Wikipedia mit Hinweisen auf die (möglicherweise)
fehlende Objektivität hin: “Die Neutralität dieses Artikels ist
umstritten. Die Gründe stehen auf der Diskussionsseite” (ebd., S. 168).
Grundprinzip 3: Freie Inhalte
Das dritte Grundprinzip bezieht sich auf die freien Inhalte der
Wikipedia. “Freie Inhalte” bedeutet, dass Artikel der Wikipedia
uneingeschränkt, vor allem kostenlos genutzt und weiterverbreitet werden
dürfen (Open-Source-Prinzip) (vgl. Pscheida 2010, S. 368). Ausführlich
wird dieser Aspekt bei Van Dijk (2010, S. 20ff.) aufgegriffen. Aus
diesem Grund ist es auch zwingend erforderlich, dass Plagiate
unverzüglich gelöscht werden, da Urheberrechtsverletzungen die
“rechtliche und moralische Integrität des Artikels” verletzen und dem
Prinzip der freien Inhalte schaden (vgl. ebd., S. 55).
Grundprinzip 4: Wikiquette
Des Weiteren gibt es eine Interaktionskultur innerhalb der Wikipedia,
die “Wikiquette” genannt wird und das vierte Grundprinzip darstellt.
Dabei handelt es sich um grundlegende Konventionen und Regeln, die
einen vernünftigen und konstruktiven Umgang miteinander bei der
gemeinsamen Arbeit an Artikeln ermöglichen sollen. Angestrebt wird,
dass auch im Fall von Uneinigkeit oder Streit während des
Entstehungsprozesses eines Artikels die Grundlagen des höflichen
Umgangs nicht verletzt werden (vgl. Pscheida 2010, S. 368).
Die Wikiquette umfasst zehn zentrale Grundsätze des Umgangs
miteinander. Für einige haben sich Akronyme herausgebildet, wie z.B.
“KPA” (“Keine persönlichen Angriffe”) oder “AGF” (“Assume Good
Faith” - “Geh von guten Absichten aus”) (vgl. Van Dijk 2010, S. 37).
Die Wichtigkeit der Einhaltung dieser Grundsätze spiegelt die
Tatsache wider, dass User bei Verletzungen gesperrt werden können,
denn man sollte nie vergessen, “dass auf der anderen Seite des
Bildschirms auch nur ein Mensch sitzt” (ebd.).
Zentrale
Grundsätze des Umgangs miteinander in der Wikipedia: die
Wikiquette
Keine persönlichen
Angriffe.
Geh von guten Absichten aus.
Sei freundlich.
Hilf anderen.
Bleibe ruhig!
Die Mitarbeit in der Wikipedia beruht auf dem Prinzip der
Freiwilligkeit.
Besser spricht es sich von Angesicht zu Angesicht.
Lass anderen Benutzern ihre Anonymität.
Trage Konflikte nicht öffentlich aus.
Sei nicht nachtragend.
Auch die Regeln entstehen in einem kollaborativen Prozess
Wikipedia als das Projekt des Web 2.0-Zeitalters
Die Besonderheit liegt in der Unveränderlichkeit der vier
Grundprinzipien. Demgegenüber haben sich im Lauf der Zeit durch das
alltägliche Handeln miteinander noch zahlreiche andere Regeln entwickelt.
Dabei handelt es sich um Konventionen, die für den Moment gelten, aber
nicht endgültig festgelegt sind. Sie entwickeln sich stetig weiter (vgl.
Pscheida 2010, S. 367f.). Diese weiteren Regeln stellen aber im
Gegensatz zu den unumstößlichen vier Grundprinzipien keine einheitliche
oder festgesetzte “Satzung” dar. Damit sind auch die Konventionen von
Offenheit und Transparenz geprägt. Sie entstehen aus kollaborativen
Prozessen (vgl. Van Dijk 2010, S. 28).
Doch gerade diese Offenheit dient oft als Ansatzpunkt für Kritik, da sie
die Qualität der Wikipedia gefährden kann (z.B. Vandalismus). Doch
Tapscott und Williams betonen, dass das Prinzip der Offenheit und der
Transparenz Wikipedia letztendlich zum Erfolg verholfen habe und die
Ursache dafür sei, dass das Projekt weiter wächst, eben auch qualitativ.
Neben neuen Einträgen werden bestehende Artikel aktualisiert und auf
Richtigkeit hin überprüft (vgl. Tapscott/Williams 2009, S. 75). Wales
selbst nennt diesen Prozess der wiederholten Veränderung und Korrektur
eine “darwinistische Evolution”, welche die Qualität eines Artikels
stetig verbessert. Diesem “dynamischen, sich entwickelnden Bestand an
Wissen” wird immer mehr Anerkennung entgegengebracht - auch in der
akademischen Welt (ebd., S. 73f.).
Wikipedia steht wie kein anderes Projekt für die faszinierenden
Möglichkeiten des Web 2.0. Im Sinne von express - connect - share
ist Wikipedia ein beispielloses Konzept zur Verwirklichung eines
Gemeinschaftsprojekts über nationale Grenzen hinweg - peer production
in Reinkultur. Richardson bezeichnet die Online-Enzyklopädie als das
“Ziehkind einer kollektiven Konstruktion von Wissen und Wahrheit”
(Richardson 2011, S. 97), die durch die Transformation vom Read-Web
zum Read-/Write-Web ermöglicht wurde. Auch Münker stützt diese
These: “Wikipedia symbolisiert das Web 2.0 und die anziehende Qualität
seines partizipatorische Prinzips wie kaum ein anderes Projekt” (Münker
2009, S. 97). “Der amerikanische Soziologe und Journalist James
Surowiecki hat das Prinzip der kollektiven Intelligenz auf die Formel
‘Weisheit der vielen` gebracht. [...] Wobei die Weisheit der vielen im
Web 2.0 über das Wissen der Eliten triumphiert” (ebd., S. 99f.).
Relevanzkriterien der Wikipedia - ein umstrittener Bereich
3. Weitere Regeln in der Welt der "freien Enzyklopädie"
Relevanz
Das erste und wichtigste Grundprinzip, dass die Wikipedia eine
Enzyklopädie ist, inkludiert bestimmte Eigenschaften, exkludiert aber
gleichzeitig auch Erwartungen; es lässt sich daraus aber noch mehr über
das Wesen der Wikipedia ableiten. Ein bedeutender Qualitätsaspekt steckt
nämlich hinter der Frage, ob ein Artikel relevant ist. Ist ein Thema
bedeutsam genug, um einen Artikel in einer Enzyklopädie zu bekommen (vgl.
Van Dijk 2010, S. 51f.)? Und wer entscheidet darüber, ob ein Thema
relevant ist?
Zur Klärung dieser Frage hat die Wikipedia “Relevanzkriterien”
aufgestellt, die als Ergänzung zu den bereits angeführten Ausführungen
zum Thema “Was Wikipedia nicht ist” zu verstehen sind. Auch dieser
Katalog ist das Ergebnis eines mehrjährigen Diskussionsprozesses und
dient der Orientierung in diesem schwierigen und umstrittenen Terrain.
Als allgemeine “Formel” gibt die Wikipedia vor: “Die Entscheidung für
oder gegen die Aufnahme in eine Enzyklopädie richtet sich auch nach der
Frage, ob Personen, Ereignisse oder Themen mit aktuell breiter
Öffentlichkeitswirkung nach sinnvollem Ermessen auch Zeit überdauernd
von Bedeutung sein werden” (Wikipedia:
Relevanzkriterien 2012).
Die Ursache für die Entstehung des Katalogs an Relevanzkriterien liegt
zum einen in dem Qualitätsanspruch der enzyklopädischen Artikel
begründet, aber auch in der Tatsache, dass die Relevanzfrage
“erhebliches Konfliktpotential” mit sich bringt (Van Dijk 2010, S. 52).
So kommt es immer wieder zu Diskussionen, wann und ob beispielsweise
eine “Hinterhofband”, sogenannte “Stars” oder eine Bibliothek
tatsächlich mit einem eigenen Artikel vertreten sein sollen.
An dieser Stelle sei nochmals auf Jimmy Wales Ziel hingewiesen, eine
“Enzyklopädie von Weltklasse” (Weinberger 2008, S. 166) zu erbauen,
nicht aber eine “Info-Müllhalde” oder eine mit “Bandspam” besetzte
Website. Genausowenig soll sie als “billige Werbeplattform missbraucht”
werden (Van Dijk 2010, S. 52). Wird keine Relevanz ausgemacht, kommt es
zum Löschantrag. Die Relevanzkriterien sind mittlerweile auf eine
immense Größe angewachsen. Zur Vertiefung können sie hier nachgelesen
werden:
http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Relevanzkriterien.
Wikipedianer nutzen Pseudonyme
Anonymität
Während sich die Encyclopaedia Britannica damit profiliert,
Nobelpreisträger und anerkannte Wissenschaftler als Autoren zu
beschäftigen, bleiben die AutorInnen der Wikipedia in der Regel anonym.
Zwar besitzt die Mehrzahl der Autoren ein Benutzerkonto, dieses sagt
aber nichts über die wahre Identität eines Wikipedianers aus, da die
meisten Autoren unter der Verwendung von Pseudonymen aktiv sind (vgl.
Weinberger 2008, S. 163).
“Uns geht es um eine Pseudoidentität, nicht um wahre Identität. Dass ein
bestimmter Benutzer eine unveränderliche Pseudoidentität hat, erlaubt es
uns, seine Qualität zu beurteilen, ohne eine Vorstellung davon zu haben,
wer er wirklich ist” (Jimmy Wales, zitiert nach Weinberger 2008, S.
163).
Der Wunsch von Autoren, Pseudonyme zu verwenden, muss unbedingt
respektiert werden (vgl. Van Dijk 2010, S. 31) und ist besonders
bedeutsam, wenn es um die Mitwirkung bei “heiklen” Themen geht, die bei
Offenlegung der Person der Autorin vermutlich erst gar nicht entstehen
würden. Ausgesetzt wird dieser Grundsatz nur in Ausnahmen, z.B. bei
Straftaten (u.a. Volksverhetzung, Urheberrechtsverletzungen, Verrat von
Betriebsgeheimnissen). In einem solchen Fall arbeitet die Wikipedia mit
der Polizei zusammen. Grundlage ist das Rechtssystem der USA und das
Recht des jeweiligen Herkunftslands (vgl. ebd., S. 23).
Freiwilligkeit
Ein wichtiger Aspekt der Philosophie von Wikipedia ist das Prinzip der
Freiwilligkeit. Tausende AutorInnen, LektorInnen und KorrekturleserInnen
stellen ihre Zeit, das Produkt ihrer Arbeit und vor allem ihren Fleiß
zur Verfügung, um das Ziel der Community in die Wirklichkeit umzusetzen:
die Erstellung einer qualitativ hochwertigen Enzyklopädie in der
jeweiligen Muttersprache über alle Kulturen und Nationen verteilt (vgl.
Tapscott/Williams 2009, S. 71). Die Beweggründe für die immense
Unterstützung, die das Projekt erfährt, werden später thematisiert.
Hierarchie innerhalb der Community
Bedeutung der Community für das Projekt wird oft verkannt
Administratoren
Obwohl die Wikipedia auf das klassische Wissenskonzept des
“Expertentums” verzichtet und das Kollektiv die Inhalte der Enzyklopädie
generiert, gibt es ein Minimum an Hierarchie in der scheinbar
hierarchielosen Wikipedia: Nicht alle Wikipedianer haben diesselben
Rechte. So gibt es gewählte Administratoren, die bei “Edit-Wars” Artikel
vorübergehend einfrieren, bei Regelverstößen Artikel löschen oder
AutorInnen gegebenenfalls sogar sperren können (vgl. Van Dijk 2010, S.
28). Teilweise sind diese zusätzlichen Rechte und Funktionen, aber auch
Pflichten, mit Wahlämtern verbunden, sie können aber auch durch
persönliche Leistung (Reputation) erworben werden und sich so im Laufe
der Zeit aufbauen (vgl. ebd., S. 31f.).
Neben Regelsetzungen ist es folglich auch zu einer Hierarchisierung
gekommen. Doch ohne diese Hierarchisierung hätte sich Wikipedia nicht in
diesem Maße entwickeln können, letztlich würde sie nicht funktionieren:
”[Wikipedia] ist eine pragmatische utopische Gemeinschaft, die mit einem
Minimum an Struktur beginnt, aus dem sich dann nach Bedarf soziale
Strukturen entwickeln” (Weinberger 2008, S. 167). Inmitten des
scheinbaren Chaos gibt es einen kleinen Kern, eine überschaubare Anzahl
regelmäßiger User, die sich engagiert dem Projekt widmen (vgl. Tapscott/Williams
2009, S. 73). Letztendlich bewahrt diese Gruppe das Produkt der
Gemeinschaft, was auch bedeutet, dass man am Kern der Sache vorbeigeht,
wenn man die Online-Enzyklopädie als die kumulierte Arbeit von
Einzelpersonen betrachtet (vgl. Weinberger 2008, S. 166). Genau diese
Verkennung der entscheidenden Variable - der Community - trifft man aber
häufig an (“Wie soll das gehen: ein Lexikon, wo jeder reinschreiben kann,
was er will!”...).
Wikipedia-Artikel ist kein fertiges Produkt, sondern work in progress
Aktives Lesen
Fast eine Revolution geht mit dem “Lesen” eines Artikels der Wikipedia
einher. Denn woher bezieht Wikipedia Autorität, durch was gewinnt sie
das Vertrauen der LeserInnen? Der Enzyclopaedia Britannica bringen die
LeserInnen (zu Recht) Vertrauen entgegen, was es ermöglicht, den
Artikeln ohne weitere Prüfung zu vertrauen und das Wissen passiv
aufzunehmen (vgl. ebd., S. 171). Das stellt sich im Fall von Wikipedia
grundlegend anders dar.
Jeder Artikel in der Wikipedia stellt kein fertiges Produkt dar, das von
Experten gefiltert und gefertigt wurde, sondern der Entstehungsprozess
ist klar ersichtlich: “Metadaten” wie Bearbeitungen, Diskussionen oder
Hinweise werden zusätzlich geliefert (ebd.). Und gerade das erfordert
auf Seiten des Lesers eben keine Passivität, sondern eine aktive
Auseinandersetzung mit dem Gegenstand “Wissen”. Die Wikipedia leitet
also ihre Glaubwürdigkeit “daraus her, dass man uns unfehlbare Wesen in
die Lage versetzt, die Unterschiede zu erforschen - und zwar gemeinsam”
(ebd., S. 172).
Festgehalten werden kann, dass die Inhalte durch ständigen Austausch und
stetige qualitative Verbesserung zu keinem Zeitpunkt als “fertig”
bezeichnet werden können, sondern sich prozessartig weiterentwickeln. In
öffentlicher Diskussion werden Artikel verändert und ergänzt, ganz dem
Prinzip der agora folgend (vgl. Münker 2010, S. 101f.). Auch das
Regelwerk der Wikipedia entwickelt sich weiter und passt sich den
Gegebenheiten und Notwendigkeiten der Arbeit an.
ursprüngliches Konzept musste um Regeln ergänzt werden
neues Element:
Sichtung
Regeländerungen
Ursprünglich war die Intention der Wikipedia, dass tatsächlich jede und
jeder Artikel einstellen, editieren, verbessern und erweitern kann -
ohne Einschränkungen oder Hürden. Doch schnell wurde deutlich, dass
diese Idee nicht umgesetzt werden kann, vor allem unter dem Aspekt des
Qualitätsanspruchs an die Artikel (vgl.
Wikipedia: Gesichtete Versionen 2012).
Der häufig als Vorwurf formulierten Feststellung, dass bei der Online-Enzyklopädie
jeder (sprich: jeder Idiot) einen Artikel einstellen, verändern und
ergänzen könne, kann also entgegnet werden: Mittlerweile gibt es sehr
wohl einige Richtlinien und Regeländerungen für AutorInnen. Im obigen
Kapitel wurden diese bereits aufgeführt. Doch sind sie eher als
Ergänzungen der Grundprinzipien zu verstehen, die sich aus der täglichen
Nutzung ergeben haben.
Um “schädliches Verhalten” und “das absichtliche Verschlechtern” von
Artikeln (Vandalismus) zu verhindern, hat die deutschsprachige Wikipedia
ein neues Instrument zur Reglementierung eingeführt: die Sichtung (Van
Dijk 2010, S. 74). So erhalten Neuerungen und Veränderungen durch
Neulinge zunächst den Status “ungesichtet”. Dabei spielt es keine Rolle,
ob der User ein Benutzerkonto hat oder als anonymer User (die man im
Wikipedia-Jargon “IP-ler” nennt) Bearbeitungen vornimmt. Erst wenn ein
registrierter, regelmäßiger Autor (ein “Sichter”) diese Änderungen für
regelkonform befindet, erlangen sie den Status “gesichtet” und werden
schließlich für den Leser des Artikels sichtbar.
Die Intention dieses Systems ist es, dem Leser eine “gewisse
Grundqualität” zu garantieren. Dieser Review-Prozess sagt jedoch nichts
über die fachliche Kompetenz des Inhaltes aus. Der Status gibt lediglich
eine Art Zertifikat, dass die erneuerte Version eines Artikels frei von
“offensichtlichem Vandalismus” ist. Neben dieser Einschränkung für
Neulinge gelten selbstverständlich für Autorinnen und Autoren - ob
erfahren oder unerfahren - die oben aufgeführten Grundprinzipien und
Regeln des “Miteinanders”, die keineswegs als abgeschlossen verstanden
werden können.
Wikifizieren
Im Lauf der Zeit hat sich eine typische Art und Weise entwickelt, wie
ein Artikel strukturiert und aufgebaut ist. Dieser Prozess des
“Wikifizierens” gehört mittlerweile zu den ungeschriebenen Gesetzen und
Richtlinien für das Schreiben eines Artikels. Das Wikifizieren passt
sowohl das äußere Erscheinungsbild (u.a. Layout, Aufbau des Artikels)
als auch die inhaltlichen Ansprüche (u.a. “NPOV”, Literaturrecherche)
den Anforderungen der Enzyklopädie an (vgl. Van Dijk 2010, S. 97).
Aussagen in der Wikipedia müssen durch externe Quellen belegt werden
Belege
Eine Änderung hat sich auch bezüglich der Belege vollzogen. War es zu
Beginn des Projekts nicht zwingend notwendig, neben Verweisen zu anderen
Wikipedia-Artikeln Belege aus der wissenschaftlichen Literatur zu suchen,
ist diese “unwissenschaftliche” Vorgehensweise heute undenkbar. Basiert
ein Artikel nicht auf einem Mindestmaß an Hintergrundrecherche - und
dies bedeutet, dass Literatur oder Onlinequellen angegeben werden - kann
der Artikel gelöscht werden (vgl. ebd., S. 121).
Erst seit 2006/2007 gehört die Notwendigkeit von Belegen als
Selbstverständlichkeit dazu. Für eine Auszeichnung als “lesenswerter”
oder “exzellenter” Artikel reicht ein Minimum an ein bis zwei Belegen
nicht aus; hierfür wird eine umfassende Recherche und Verweise auf
Literatur vorausgesetzt.
Wie sich an diesen Ausführungen zeigt, ist die “Wikipedia - die freie
Enzyklopädie” keinesfalls mehr so frei, wie es der Name suggeriert. Die
Arbeit mit und in ihr ist reglementiert, um die Qualität der Artikel
sicherzustellen und damit das Ziel der Community zu verwirklichen: Eine
“Enzyklopädie von Weltklasse” zu erschaffen, deren Inhalte frei
zugänglich sind (Weinberger 2008, S. 166).
Die Wikipedia hat in den letzten Jahren einen hohen Stellenwert erreicht,
ist bekannt und den meisten Internetnutzern vertraut (vgl. Schuler 2007,
S. 23). Die Zahlen sind unglaublich: Die Online-Enzyklopädie beinhaltet
derzeit (Stand 18.12.2011) insgesamt 20.619.827 Artikel in rund 270
unterschiedlichen Sprachversionen. Die deutschsprachige Wikipedia allein
umfasst über 1,3 Millionen Artikel und liegt somit auf Platz zwei hinter
der englischen Version (vgl.
Wikipedia: Sprachenliste). Täglich wird die Wikipedia weltweit um
etwa 8000 Artikel ergänzt und erreicht 5000 Klicks pro Sekunde (vgl.
Moleski/Richter, Wikimedia 2011, S. 11). Als non-profit Website
hat sie es auf Platz 6 der weltweit und deutschlandweit meistbesuchten
Seiten geschafft (http://www.alexa.com/topsites):
Nutzung der "Weisheit der Vielen"
kollaboratives
Schreiben
Wikipedia ist aktueller als andere Lexika
Wissensnetz
durch Links
Gründe für den Erfolg
Die Wikipedia ist durch die freiwillige Zusammenarbeit von tausenden
AutorInnen entstanden: “Sie machten aus Wikipedia das, was sie heute
[...] ist: die größte Wissenssammlung der Menschheit. Wikipedia hat die
uralte Tradition des Austausches von Wissen und damit die Basis für die
Entwicklung der Menschheit in das neue, digitale Zeitalter überführt”
(Wales, Wikimedia 2011, S.9). Dieser Aspekt ist ausschlaggebend dafür,
dass die Wikipedia so erfolgreich ist. Die Autoren stellen ihr Wissen
und ihre Zeit frei zur Verfügung. Ihr ehrenamtliches Engagement ist ein
Präsent an die gesamte Menschheit (vgl. Moleski/ Richter, Wikimedia
2011, S.11).
Die Artikel der Wikipedia werden kollaborativ von mehreren AutorInnen
zusammen geschrieben. Jede/r kann mitschreiben und seinen eigenen -
großen oder kleinen - Beitrag leisten. Alle Beteiligten zusammen bilden
die Autorenschaft. Das ist ein fortlaufender und offener Prozess, der
durch alle Autoren gestaltet wird: Inhalte werden hinzugefügt, Layout,
Gliederung oder Rechtschreibung verbessert sowie die Fakten überprüft (vgl.
Stöcklin 2010, S. 47f).
Zusätzlich ermöglicht es Wikipedia, andere Autoren zu kontaktieren, sich
auszutauschen, zu diskutieren und Fragen zu klären. Vor diesem
Hintergrund können konstruktive Beiträge entstehen (vgl. Cüppers,
Wikimedia 2011, S. 131). Die “Weisheit der Vielen”, das “soziale Wissen”
spielt eine zentrale Rolle für den Erfolg der Online-Enzyklopädie.
Es gibt noch weitere Gründe für den Erfolg von Wikipedia. Neben Zahl und
Umfang der Artikel unterscheidet sich Wikipedia von anderen
Enzyklopädien im Hinblick auf die Aktualität (vgl. Stöcklin 2010, S.44).
Neuere Entwicklungen können rasch eingearbeitet werden. Zu bedeutsamen
Ereignissen werden meist tagesaktuell neue Artkiel hinzugefügt oder alte
verbessert (vgl. Stöcklin 2010, S. 44f.). Die einfache Veränderbarkeit
ist auch bedeutsam hinsichtlich von Fehlern. Auch sie lassen sich
einfach und rasch korrigieren. Diesbezüglich können Print-Enzyklopädien
nicht mithalten (vgl. Weinberger 2007, S. 170).
Einen weiteren Erfolgsfaktor bilden die zahlreichen Hyperlinks, die jede/r
hinzufügen kann (vgl. Weinberger 2007, S. 119). Die Links verweisen auf
andere Artikel innerhalb der Wikipedia oder auf externe Webseiten.
Dementsprechend bildet sich ein Wissensnetz, das sich immer mehr
ausweiten kann (vgl. Schuler 2007, S. 80).
Als zentralen Erfolgsfaktor stellt Shirky die Rolle der Community - der
Wikipedianer - heraus: “Wikipedia, and all wikis, grow if enough people
care about them, and they die if they don’t” (Shirky 2008, S. 136). Der
Erfolg ist demnach immer prekär. Wikipedia hat, so Shirky, nur solange
Bestand (und Erfolg), wie die Wikipedianer “ihr” Projekt verteidigen
können. Dass dies bislang gelungen ist, heißt nicht, dass es auch in
Zukunft gelingen wird, ist aber (schon jetzt) eine beeindruckende
Erfolgsgeschichte.
IP-ler und angemeldete AutorInnen
Wer sind die Wikipedianer?
Als Wikipedianer bezeichnet man freiwillige, aktive Mitarbeiter, die
sich häufig mit einem Nickname registrieren oder unangemeldet als
“IP-ler” mitarbeiten und mindestens zehn Bearbeitungen ausgeführt
haben.
Wikipedianer schreiben Beiträge, überprüfen andere Artikel,
korrigieren Rechtschreibfehler und beobachten, ob ihre eigenen
Beiträge bearbeitet wurden. Sie zählen zu der Autorenschaft und sind
Teil der Wikipedia-Community. Hierbei ist die Freiwilligkeit von
zentraler Bedeutung. Jeder Autor entscheidet selbst, ob, wann und
auf welche Weise ein Beitrag geleistet werden soll (vgl. Stöcklin
2010, S. 49).
Hintergrund: IP-ler
IP ist die
Abkürzung für Internet Protocol. IP-ler agieren anonym in der
Wikipedia und besitzen keinen Account. Die IP-Adresse ist eine
Ziffernfolge, die bei allen Bearbeitungen anstatt eines
Benutzernamens in der Artikelhistory automatisch hinterlegt
wird. Mittels der IP-Adresse können Benutzer - zum Beispiel
bei Vandalismus - ermittelt werden (vgl. Schuler 2007, S.
241/248).
Benutzergruppen
in der Wikipedia
Die Wikipedianer können je nach Aktivität und Bereitschaft neue
Aufgabenbereiche erhalten und einen höheren Status erlangen. Neben den
IP-lern und den angemeldeten Benutzern existieren noch weitere Autoren,
denen zentrale Aufgaben in der Community zugewiesen sind. Darunter
befinden sich Administratoren, Bürokraten, Stewards, CheckUser, Benutzer
mit Oversight-Status und Entwickler sowie Sichter. Das folgende
Schaubild vermittelt einen Überblick über die Benutzergruppen:
Gewählte Administratoren
Wikipedianer sind in der Regel männlich
weitere Studien
Die Administratoren bilden eine wichtige Gruppe, wenn es um die
Organisation der Online-Enzyklopädie geht. Sie sind u.a. befugt, Seiten
zu löschen oder Benutzer zu sperren (vgl.
Wikipedia:Administratoren). Angemeldete Wikipedianer können von der
Community als Administrator vorgeschlagen und gewählt werden. Ihre Rolle
ist an Bedingungen geknüpft und sie können bei Machtmissbrauch oder
Fehlverhalten wieder abgewählt werden (vgl. Schuler 2007, S. 141).
Es gibt verschiedene Studien über die Wikipedianer. Die Ergebnisse einer
Umfrage über “Wikipedianer
nach Wissensgebiet” zeigt die Themen- und Spezialgebiete einiger
aktiven Nutzer auf. Eine
Online-Befragung des Psychologischen Institut der Universität
Würzburg zum Thema “Motivation von TeilnehmerInnen an Wikipedia” liefert
interessante Ergebnisse über die freiwilligen Mitarbeiter der
deutschsprachigen Wikipedia.
Laut der Umfrage sind 88% der Wikipedianer männlich und 10% weiblich.
Das Durchschnittsalter beträgt 33 Jahre. Die Mehrheit der Befragten
arbeitet Vollzeit (42,5%), gefolgt von Studenten (25,5%) und
Teilzeitarbeitenden (10,4%). Auffällig ist, dass über 50% der
Wikipedianer Single sind und dass die durchschnittliche Beschäftigung
für Wikipedia während der Freizeit zwei Stunden pro Tag beträgt. Hierbei
sind u.a. Offline-Recherchen inbegriffen (vgl. Schroer 2005, Online-Befragung).
Weitere Ergebnisse und zusätzliche Informationen können
hier eingesehen werden.
Jimmy Wales hat eine Studie durchgeführt, um zu untersuchen, wer die
meisten Bearbeitungen für die Wikipedia ausführt. Er hatte mit dem
Ergebnis gerechnet, dass 20% der Autoren etwa 80% der Beiträge leisten.
Jedoch zeigen die Ergebnisse, dass 0.7% der Freiwilligen etwa 50% der
Arbeit übernehmen. Die aktivsten 2% sind an 73,4% der Bearbeitungen
beteiligt. Im Hinblick auf diese Ergebnisse führte Aaron Swartz eigene
Untersuchungen durch. Er wollte herausfinden, wer die substanziellen
Beiträge leistet. Er zählte die Anzahl der Buchstaben, die verschiedene
Autoren hinzufügten.
Das Ergebnis zeigt auf, dass die meisten Bearbeitungen von aktiven,
angemeldeten Benutzer kommen, diese aber meist nur Formatierungs- oder
Formulierungsänderungen durchführen. Die eigentlichen Inhalte werden
überwiegend von nicht aktiven IP-lern hinzugefügt (vgl.
Aaron Swartz 2006). Demzufolge korrigieren die angemeldeten Benutzer
Schönheitsfehler und passen die Artikel dem Wikipedia-Stil an, die
substantiellen Beiträge - wie das Hinzufügen eines Artikels oder
Textabschnitts - werden von IP-lern durchgeführt.
“Wikipedia zeigt uns, warum es sich lohnt, in digitalen Netzwerken
zusammenzuarbeiten, statt in intellektueller Isolationshaft auf geniale
Einfälle zu warten. Wikipedia hat die Welt zu einem intelligenteren Ort
gemacht. Wikipedia ist ein Werk der Vielen. Die erste Software der
Dichter und Denker.”
Meistens stößt man über eine Suchmaschine auf Wikipedia-Artikel. Beim
Lesen bemerkt man, dass der Artikel nicht vollständig ist. Man besitzt
Informationen, die dem Artikel fehlen. Erfahrungsberichten zufolge ist
man gefangen, sobald einmal der Bearbeiten-Button gedrückt und
Informationen ergänzt wurden. Verbesserungen und Ergänzungen folgen -
man will mehr! Die Registrierung als Benutzer ist dann nur noch eine
Frage der Zeit (vgl. Lüdeke/Cüppers, Wikimedia 2011, S. 65/130).
die 3 wichtigsten
Motive
Die Wikipedianer arbeiten aus unterschiedlichen Gründen an dem Projekt
mit. Laut einer Online-Befragung des Psychologischen Instituts der
Universität Würzburg zum Thema “Motivation von TeilnehmerInnen an
Wikipedia” sind die drei wichtigsten Motive für die Mitarbeit:
- Das Interesse, die Qualität von Wikipedia insgesamt zu verbessern;
- die Überzeugung, dass Informationen frei sein sollten;
- das Verbessern eigener Artikel und die Freude am Schreiben.
Die Studie zeigt, dass die Motivation zur Mitarbeit durch die
Wissenserweiterung und -verbreitung gestärkt wird und dass von zentraler
Bedeutung ist, an einem langfristigen Projekt mitzuwirken (vgl. Schroer
2005,
Online-Befragung). Die Motivation des Benutzers Gripweed spiegelt
die oben genannten Punkte wieder: “Freies Wissen für jeden! Die
Möglichkeit, Teil von etwas Größerem zu sein. Mit meinem Wissen dafür
sorgen, dass andere ihr Wissen vergrößern, aber auch von anderen lernen.
Neues entdecken und altes hinterfragen” (Benutzer:GRIPWEED, Wikimedia
2011, S. 145).
Die Komponente der Teamarbeit, das “soziale Wissen”, führt bei den
AutoreInnen zu Begeisterung und Motivation. Man lernt von den anderen,
muss jedoch damit rechnen, dass der eigene Text überarbeitet wird. Jeder
ist ein Spezialist für gewisse Arbeitsbereiche: Die einen schreiben
Artikel, die anderen korrigieren Rechtschreibfehler und wieder andere
fügen Kategorien oder Links hinzu. Alle arbeiten an einem Strang. Man
muss kompromissfähig sein und die eigene Auffassungen zugunsten des
“Neutralen Standpunkts” in den Hintergrund stellen (vgl.
Benutzer:Gripweed, Wikimedia 2011, S. 146).
Eine geringe Anzahl an Usern schöpft Motivation aus persönlichen Treffen
und nimmt an den monatlich stattfinden “Stammtischen” teil. Diese finden
meist in größeren Städten statt. Hier besteht die Möglichkeit, anderen
Autoren im realen Leben zu begegnen und sich außerhalb des Internets
auszutauschen (vgl. Schuler 2007, S. 121).
Anerkennung für Autoren und Artikel kann für alle sichtbar durch
Auszeichnungen zum Ausdruck kommen. Es gibt zum Beispiel “lesenswerte”
und “exzellente Artikel”, die von der Community selbst vorgeschlagen
werden können. Diese Beiträge müssen gewisse Kriterien erfüllen, wie
beispielsweise die Einhaltung der Neutralität und ein ausführliches
Quellenverzeichnis. Die ausgezeichneten Artikel werden mit einem kleinem
Symbol versehen (vgl. Schuler 2007, S. 92). Es befindet sich rechts auf
Höhe der Artikel-Überschrift.
Die Auszeichnungen dieser Artikel erfüllen mehrere Funktionen. Sie
weisen den Leser auf einen Artikel mit hoher Qualität hin. Außerdem
sollen diese Artikel als Vorzeigeobjekte und Vorbilder für neue Artikel
dienen. Ein qualitativ hochwertiger Artikel ist auf der Hauptseite der
Wikipedia unter “Artikel des Tages” zu finden (vgl. Raschka, Wikimedia
2011, S. 96). Nicht wenige AutorInnen arbeiten auf eine Auszeichnung
ihres Artikels hin und schließen ihre Arbeit an dem Artikel erst ab,
wenn dieser eine Auszeichnung erlangt. Dies motiviert AutorInnen. Die
Auszeichnung wird auf der eigenen Benutzerseiten aufgelistet (vgl. ebd.
S. 97).
Außerdem gibt es Schreibwettbewerbe, die die Motivation der AutorInnen
steigern sollen. Seit August 2007 wird jährlich die Johann-Heinrich-Zedler-Medaille
für den besten Wikipedia-Beitrag verliehen (vgl. Wilhelm, Wikimedia
2011, S. 268). Zudem gibt es einen Artikelmarathon, der erstmalig 2007
unter dem Namen “Stub-Wettbewerb” stattgefunden hat. Fünf Autoren
sollten innerhalb von sechs Stunden über einen vorgegebenen Inhalt die
meisten, mit Literatur belegten Artikel schreiben. Entstanden sind 34
Artikel. Der bereits acht Mal veranstaltete Artikelmarathon erbrachte
7862 Artikel von insgesamt 133 Autoren (vgl. Kulac, Wikimedia 2011, S.
118ff.). Im Zentrum steht hierbei die “spielerische Motivation zum
Artikelschreiben [...]. Bereits jeder Beitrag bringt die Wikipedia einen
Schritt weiter [...]: Dabei sein ist alles! Es lebe der Dienst an der
Verbesserung unserer Enzyklopädie” (ebd. S. 120)!
Wie also ist es möglich, dass eine so große Wissenssammlung durch
tausende freiwilliger AutorInnen geschaffen wird? Warum investieren sie
(zum Teil tagtäglich) ihre Zeit, arbeiten mit Hingabe und Leidenschaft
an dem Projekt Wikipedia mit, um ihr Wissen der ganzen Menschheit zur
Verfügung zu stellen, und das alles ohne auch nur einen Cent dafür zu
bekommen? Shirky schlägt eine simple, aber überzeugende Antwort vor:
„When people care enough, they can come together and accomplish things
of a scope and longevity that were previously impossible; they can do
big things for love“ (Shirky 2008, S. 142, eigene Hervorhebung).
Erste Schritte zum Autor - Abläufe in
der Wikipedia
Der folgende Abschnitt bietet
Interessierten, die aktiv in der Wikipedia mitarbeiten wollen, eine
erste Orientierung hinsichtlich der wichtigsten Abläufe in dem Projekt.
Zu Beginn stellt sich die Frage, inwieweit man Teil der Community sein
möchte. Will man anonym als IP-ler aktiv sein oder ein Benutzerkonto
anlegen? Die meisten AutorInnen agieren zunächst anonym und machen ihre
ersten Erfahrungen mit kleinen Bearbeitungschritten. Hierzu zählen die
Korrektur von Rechtschreib- und Kommafehlern sowie das Hinzufügen von
Textabschnitten (vgl. Schuler 2007, S. 241). Innerhalb der Wikipedia
bezeichnet man alle Arten von Bearbeitungen als Edits. Edits von IP-lern
werden kritisch und misstrauisch betrachtet. Hintergrund ist, dass bei
IP-lern die Gefahr von Vandalismus größer ist (vgl. van Dijk 2010, S.
30).
Entscheidet man sich für das
Anlegen eines Benutzerkontos, kann man unter seinem richtigen Namen oder
unter einem Pseudonym aktiv sein. Entscheidet man sich für ein
Pseudonym, dann sollte man, um von anderen AutorInnen ernst genommen zu
werden, auf die Auswahl des Nickname achten. Entscheidet man sich dafür,
kein Pseudonym zu verwenden, muss man sich im klaren darüber sein, dass
alle Vorgänge, die in der Wikipedia ablaufen, dokumentiert und
gespeichert werden. Und diese Informationen sind nicht nur in der
Wikipedia, sondern für das ganze Internet transparent.
Für das Anlegen eines Accounts
spricht, dass damit wichtige Vorteile verbunden sind: Man hat
weitergehende Benutzerrechte, kann beispielsweise seine eigene
Benutzerseite gestalten oder Bilder hochladen (vgl. Schuler 2007, S.
141/241f). Ferner wird man von anderen Wikipedianern ernst genommen, und
diese können durch das Aufrufen einer Spezialseite die bisher
vorgenommenen Edits verfolgen. Zudem erhält man oftmals einen
Willkommensgruß und Ratschläge (vgl. van Dijk 2010, S. 30f).
Wikipedia bietet die Möglichkeit,
mehrere Benutzerkonten zu unterhalten. Wird das ausgenutzt (etwa bei
Diskussionen), gilt es als Missbrauch bzw. Vandalismus - Wikipedianer
verwenden hier den Begriff “Sockenpuppe”. Administratoren können diese
Benutzerkonten sperren (vgl. van Dijk 2010, S. 31f).
Benutzerkonto
anlegen
Das Anlegen des eigenen
Benutzerkontos erfolgt mit wenigen Klicks, zunächst auf den Link
“Anmelden / Benutzerkonto erstellen” auf der Hauptseite. Den nächsten
Schritt der Registrierung bildet ein Klick auf den Link “Hier legst du
ein Konto an”. Der weitere Ablauf ist verständlich dargestellt. Die
Angabe der E-Mail-Adresse ist wichtig, da bei Passwortverlust ein neues
zugesendet werden kann. Darüber hinaus wird die E-Mail-Adresse nicht
öffentlich sichtbar. Ferner kann man über die Benutzerseite mit anderen
Benutzern in E-Mail-Kontakt treten. Bei der Auswahl des Benutzernamens
sollte auf Sonderzeichen verzichtet und auf die Namenswahl geachtet
werden.
Das neue Benutzerkonto erhält automatisch nach vier Tagen den Status “bestätigt”.
Dann ist man befugt, Seiten zu verschieben oder Edits bei
halbgeschützten Seiten vorzunehmen. Weiterhin kann man nach
zweimonatiger Registrierung mit mindestens 200 Bearbeitungen eine
“Stimmberechtigung” für Meinungsbilder und die Administratorenwahl
erhalten. Den Status als Sichter kann man bereits nach 60 Tagen mit
mindestens 300 Bearbeitungen erreichen (vgl. van Dijk 2010, S. 34).
Eine aktive Teilnahme an Wikipedia setzt voraus, dass man den Ansprüchen
gerecht wird und nicht gegen die Grundprinzipien verstößt. Heutzutage
besteht man nicht nur auf grammatikalisch richtige Sätze, sondern auf
ein ausführliches Quellenverzeichnis mit entsprechenden Fußnoten sowie
internen und externen Links (vgl. Benutzer:Singsangsung/van Dijk,
Wikimedi 2011, S. 48). Kommt es zu einer Häufung von Regelverstößen,
besteht die Gefahr, gesperrt zu werden. Dann kann man keine Edits mehr
ausführen (vgl. van Dijk 2010, S. 28). Um zu verhindern, dass ein noch
unerfahrener Nutzer gesperrt wird, und um die Einarbeitung zu
erleichtern, stellt Wikipedia seit mehreren Jahren Mentoren für neu
angemeldete Benutzer bereit.
Mentorenprogramm
Hilfe für neue
AutorInnen
Das am 29. April 2007 entstandene Mentorenprogramm der deutschsprachigen
Wikipedia bietet unerfahrenen Nutzern die Chance, mit einem erfahrenen
Autor in persönlichen Kontakt zu treten. Die Neulinge werden bei ihren
ersten Schritte in der Wikipedia von ihrem Mentor begleitet und können
sich mit allen aufkommenden Fragen und Probleme an ihn wenden. Um das
Mentorenprogramm nutzen zu können, muss man ein Benutzerkonto besitzen.
Überdies kann man seinen Mentor selbst auswählen. Ferner kann der
Betreute, Mentee genannt, oftmals die Art der Kommunikation bestimmen.
Der Kontakt kann über Wikipedia, E-Mail, Instant-Messenger oder per
Telefon erfolgen. Auch nach Beendigung der Betreuung kann weiterhin ein
enger Kontakt zwischen Mentor und Mentee bestehen (vgl. Hector,
Wikimedia 2011, S. 71f). Aktuell befinden sich 288 Mentee bei 107
Mentoren in Betreuung (Wikipedia:Mentorenprogram
Stand: 03.02.2012).
Nutzt man das Angebot des Mentorenprogramms nicht bzw. will man nur als
IP-ler in der Wikipedia aktiv sein, stellen die folgenden Informationen
einen ersten Überblick über die Abläufe in der Wikipedia dar.
vor den ersten Edits mit Wikipedia vertraut machen
Versionsgeschichte
Bevor man sich den ersten Bearbeitungen zuwendet, sollte man sich mit
der Versionsgeschichte einer Seite beschäftigen: Jede Seite in Wikipedia
besitzt eine Versionsgeschichte, auch Artikelhistory genannt. Diese
zeigt alle vorherigen Versionen der Seite an. So kann die Entwicklung
der Seite nachverfolgt werden. Die momentane Version der Seite kann über
den Botton “Bearbeiten” beliebig editiert werden. Der Artikel muss
anschließend mit dem Botton “Seite speichern” gesichert werden.
Automatisch erscheint bei der Versionsgeschichte die aktuellste Version
(vgl. van Dijk 2010, S. 63f.).
Die Versionsgeschichte des Artikels “Neckar” zum Beispiel beinhaltet
sowohl Beiträge von angemeldeten AutorInnen mit Benutzernamen als auch
von IP-lern mit entsprechender IP-Adresse. Bearbeitungen von Benutzern
mit Sichterstatus sind mit [automatisch gesichtet] gekenzeichnet. Die
Beiträge von IP-lern und neu angemeldeten Benutzern müssen jedoch
gesichtet werden, siehe [gesichtet von...]. Die in Klammern kursiv
geschriebenen Hinweise und Kommentare deuten auf die Veränderungen hin.
Die Versiongeschichte ist ein wichtiger
Bestandteil zur Sicherung jeglicher Bearbeitungen. Im Einzelfall kann es
bei schwerwiegenden Regelverstößen zur Löschung von Versionen kommen,
die durch Administratoren ausgeführt werden. Folglich können
ausschließlich Administratoren die entfernten Versionen sehen. Überdies
können Wikipedianer mit Oversight-Status in Ausnahmefällen Versionen
löschen, die sogar für Administratoren unsichtbar sind (vgl. van Dijk
2010, S. 65f.).
mit kleinen Edits beginnen
Seite bearbeiten
Mit dem Vorwissen über den Sinn der Versionsgeschichte einer Seite kann
man sich nun dem Prozess zuwenden, wie man eine Seite bearbeiten kann.
Hinsichtlich der Grundprinzipien und der vielen Regeln sollten die Edits
zu Beginn Schreibfehler und Umformulierungen umfassen, damit man die
vielen Abläufe in der Wikipedia verstehen und sich zurechtfinden kann.
Ein “Bearbeiten”-Button ist auf jeder Seite der Wikipedia vorzufinden,
außer bei geschützten Artikel, die von unangemeldeten und neu
angemeldeten Benutzern nicht bearbeitet werden dürfen. Hier findet sich
anstelle des “Bearbeiten”-Buttons ein “Quelltext anzeigen”-Button. Auf
solchen geschützten Seiten können Änderungswünsche nur auf der
dazugehörigen Diskussionsseite eingegeben werden. Zu den geschützten
Seiten gehören beispielsweise fast alle verlinkten Artikel am linken
Seitenrand der Wikipedia-Hauptseite. Ausschließlich Administratoren sind
befugt, Seiten zu schützen oder den Schutz aufzuheben (vgl.
Hilfe:Geschützte Seiten, 03.02.2012).
Wikisyntax
erst in der Spielwiese üben
Beim Öffnen einer Bearbeitungsseite erscheint der Quelltext des
aktuellen Artikels. Der Quelltext beinhaltet zum normalen Text
zusätzliche Zeichen. Diese Schreibweise wird auch als Wikisyntax
bezeichnet. Bei Bezeichnungen, die kursiv hervorgehoben werden sollen,
müssen vor und nach dem Wort jeweils zwei Apostrophe gesetzt werden. Bei
fett gedruckten Wörter müssen jeweils drei Apostrophe gesetzt werden.
Eine ausführliche Anleitung zur Wikisyntax ist auf der Seite
Hilfe:Textgestaltung zu finden.
Übungen zur Schreibweise der Wikisyntax können auf der Seite
Wikipedia:Spielwiese vorgenommen werden. Allerdings sollte man
bedenken, dass diese Seite auch eine Versionsgeschichte besitzt und man
keinen Unsinn reinschreiben sollte. Die Bearbeitungsseiten selbst
enthalten Bearbeitungshilfen, so dass die jeweiligen Wörter nur noch
markiert werden müssen und auf die entsprechenden Buchstaben,
beispielsweise K(kursiv) oder F(fett), geklickt werden muss. Die
Benutzeroberfläche ähnelt gängigen Textverarbeitungsprogrammen.
Alle Bearbeitungen können direkt im Quelltext vorgenommen werden. Man
kann jedoch keine Zwischenspeicherung vornehmen. Es kann aber eine
Vorschau angezeigt werden, die anschließend wieder bearbeitet werden
kann. Die neu erstellte Version erscheint erst, nachdem die Seite
gespeichert wurde (vgl. van Dijk 2010, S. 66f.). Jede Bearbeitung eines
Anfängers, angemeldet oder nicht, muss durch einen Sichter geprüft
werden und wird erst nach dessen Freigabe für die Öffentlichkeit
sichtbar. Diese Sichtungen enden mit dem Erhalt des Sichterstatus (vgl.
ebd., S. 34).
Bearbeitungskonflikte
Edit Wars
Bei der gemeinsamen Arbeit an einem Artikel kann es immer wieder zu
Auseinandersetzungen zwischen mehreren Wikipedianern kommen. Hierbei
unterscheidet man zwischen zwei Formen, dem Bearbeitungskonflikt und dem
Edit-War. Bearbeitungskonflikte können bei zeitgleicher Bearbeitung
eines Artikels durch zwei Wikipedianer entstehen. Hierbei handelt es
sich um das Problem, dass beide die gleiche Version aktualisieren wollen
und ggf. an den gleichen Textstellen Veränderungen vornehmen. Sobald
einer der beiden eine neuere Version speichert, können die Veränderungen
des anderen nicht mehr gespeichert werden. Grund hierfür ist, dass immer
nur an der neuesten Version Bearbeitungen erfolgen können. Um dieser Art
von Konflikten vorzubeugen, kann die “Vorlage:In Bearbeitung” oben in
den Quelltext eingefügt und gespeichert werden. Dadurch sind die anderen
Benutzer darüber informiert, dass der Artikel derzeit bearbeitet wird (vgl.
ebd., S. 68f.).
Eine unangenehmere Auseinandersetzung mit anderen Wikipedianer stellt
der Bearbeitungskrieg, Edit War, dar. Darunter wird die Uneinigkeit
zweier oder mehrerer Benutzer über den Inhalt eines Artikels verstanden.
Teilweise handelt es sich hierbei um kleinere Veränderungen, die von
einem Benutzer durchgeführt und von einem anderen rückgängig gemacht
werden. Wiederholt sich dieser Vorgang, kann sich ein Administrator
einschalten und den Artikel zeitweise sperren. Währenddessen sind
lediglich Administratoren befugt, den Artikel zu editieren. Sobald das
Problem behoben wurde, kann der Artikel wieder entsperrt werden. Diese
Edit Wars lassen sich in der Regel mit verlässlichen Literaturangaben
verhindern bzw. beheben (vgl. ebd., S. 40).
Ungeachtet dieser gelegentlich auftretender Schwierigkeiten hat die
Zusammenarbeit mit anderen Wikipedianer einen hohen Stellenwert beim
Verfassen von Inhalten. Man muss mit all jenen kooperieren, die einen
Artikel oder Ergänzungen lesen und diese kritisieren bzw. verändern.
Dabei sollte der eigene Standpunkt sachlich vertreten, jedoch genauso
andere Meinungen toleriert werden. Der Leitgedanke - die Weisheit der
Vielen - sollte immer Priorität haben, um u.a. die Neutralität zu
gewährleisten (vgl. Weinberger 2007, S. 163f.).
Anlegen eines neuen Artikels: Relevanz?
Literatur?
Name?
verständlich schreiben
Wikifizieren
Aufbau eines Artikels: Einleitung
Inhaltsverzeichnis
Haupttext
Belege
Schreiben eines Artikels
Nachdem man ausreichend Erfahrungen mit kleineren Edits gesammelt hat,
kann man sich an das Schreiben eines eigenen Artikels wagen. Für das
Anlegen eines neuen Artikels müssen verschiedene Punkte beachtet werden,
nämlich die Relevanz des Themas und die Literaturrecherche. Außerdem
muss natürlich geprüft werden, ob zu dem Thema bereits ein Artikel
existiert oder ob sich der geplante Beitrag besser als neuer Abschnitt
in einem vorhandenen Artikel eignet. Darüber hinaus spielt das Lemma (der
Titel) des Artikels eine zentrale Rolle. Hierfür gibt es die eigens
angelegte Seite
Wikipedia:Namenskonvention, um einen geeigneten Titel zu finden.
Ein Artikel kann auf verschiedenen Wegen angelegt werden: Entweder durch
den Link “Neuen Artikel anlegen” direkt auf der
Hauptseite der Wikipedia, oder man gibt den Titel in das Suchfenster
ein. Falls die Suche keine Ergebnisse ergibt, erscheint der Hinweis,
dass der Artikel noch nicht existiert und mit dem roten Link erstellt
werden kann. Wird der Link geöffnet, erscheint eine Bearbeitungsseite,
woraufhin man den eigenen Text in das Bearbeitungsfenster einfügen kann
(van Dijk 2010, S. 70f.). Um sicherzugehen, dass der Artikel korrekt
formatiert ist, kann eine Vorschau angezeigt werden. Ein kurzer
Überblick über den Inhalt des Artikels kann unter “Zusammenfassung und
Quellen” eingegeben werden, damit weitere Benutzer und Leser eine
Vorstellung haben, wovon der Artikel handelt. Überdies sollten
Hauptliteraturquellen eingefügt werden.
Weitere Aspekte, wie Kategorisierung und Verlinkung des Artikels, können
anschließend hinzugefügt werden, um erfahrene Autoren auf den Artikel
aufmerksam zu machen. Diese können sich mit dem Artikel
auseinandersetzen und ihn gegebenfalls bearbeiten. Abschließend wird der
Text gespeichert. Dadurch wird automatisch eine neue Seite mit dem
eigenem Artikel angelegt. Zu beachten ist, dass Artikel von Anfängern,
angemeldet oder nicht, erst einer Sichtung unterzogen werden. In den
folgenden Tagen - bis die Sichtung vorbei ist - sollte der eigene
Artikel beobachtet werden, um herauszufinden, ob es zu Regelverstößen
kam und ein Löschantrag gestellt wird (vgl.
Wikipedia:Neuen Artikel anlegen, 30.01.12).
Generell sollte beim Verfassen von Artikeln berücksichtigt werden, dass
der Text für jeden verständlich ist. Hierbei orientiert sich die
Wikipedia im Hinblick auf “verständliches Schreiben” an mehreren
Merkmalen des Hamburger Verständlichkeitskonzepts, das von den drei
Psychologen Langer, von Thun und Tausch konzipiert wurde. Fremdwörter
und Fachbegriffe sollten vermieden oder beschrieben bzw. verlinkt werden.
Zudem sollte der Satzbau nicht zu einfach oder zu kompliziert gestaltet
werden. Weiterhin sollten nur die wesentlichen Aspekte einer Thematik
aufgegriffen werden (vgl. van Dijk 2010, S. 86ff.). Weitere
Informationen erhält man unter folgenden Links:
http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:WikiProjekt_Benutzerfreundlichkeit/Tipps
und
http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Laientest.
Die verständliche Formulierung eines Artikels bildet aber lediglich den
ersten Schritt auf dem Weg zu einem gelungen Artikel. Eine weitere
zentrale Aufgabe stellt das Wikifizieren des eigenen Artikels dar. Der
Begriff Wikifizieren steht für die Anpassung von Layout und Gliederung
an die Anforderungen der Wikipedia. Hier geht es um die Einteilung des
Artikels in Abschnitte, die interne und externe Verlinkung, die
Einbindung von Bildern sowie die Auflistung von Belegen und zusätzlicher
Literatur. Das Wikifizieren eines Artikels ist sehr zeitaufwändig und
kann bei unerfahrenen Autoren überfordernd sein. Die Überarbeitung eines
Artikels hinsichtlich der Wikifizierung wird anfangs von erfahrenen
Autoren übernommen. Will man aber zu einem aktiven Autor avancieren,
muss man sich das Wikifizieren aneignen (vgl. van Dijk 2010, S. 97f.).
Die Artikel in der Wikipedia weisen einen einheitlichen Aufbau auf. Die
Einleitung eines Artikels liefert in wenigen Sätzen eine kurze
Begriffserklärung. Unabhängig vom restlichen Artikel sollte die
Einleitung die zentralen Inhalte des Themas umfassen, so dass der Leser
einen kleinen Überblick über das Thema erhält (vgl. ebd., S. 98). Unter
der Einleitung befindet sich das Inhaltsverzeichnis, das automatisch von
der Software erstellt wird, sobald ein Artikel mindestens drei
Abschnitte enthält. Im unteren Drittel des Artikels befinden sich die
Abschnitte “Belege” mit Fußnoten, weiterführende “Literatur” sowie
“Weblinks” und “Siehe auch”. Letzteres verweist auf andere
Wikipedia-Artikel mit verwandten Themen. Der Abschnitt “Weblinks” zeigt
eine Auswahl an externen, themenbezogenen Links (vgl. ebd. S. 98-101).
Links im Artikel verweisen dagegen ausschließlich auf weitere Artikel
innerhalb der jeweiligen Wikipedia-Sprachversion. Besteht der verlinkte
Artikel, so ist der Link blau, bei (noch) nicht existierenden Artikeln
ist der Link rot. Links sollten nach Möglichkeit nur im Fließtext, nicht
in Überschriften oder in Lemma-Nennungen gesetzt werden (vgl. ebd., S.
103).
Vermeidung von Löschanträgen
Gründe für einen Löschantrag
Um zu vermeiden, dass ein anderer Benutzer einen Löschantrag für den
eigenen Artikel beantragt, sollte die ausführliche Beschreibung auf der
Seite
Wikipedia:Wie schreibe ich gute Artikel? berücksichtigt werden.
Löschanträge können von jedem Wikipedianer gestellt werden. Liest man
persönliche Erfahrungsberichte früherer Neulinge wird geschildert, dass
“eine Löschdiskussion [...] demotivierend und kontraproduktiv [ist]” (Nebelsiek,
Wikimedia 2011, S. 64) oder dass man “partout nicht einsehen [will],
warum nun dieser - für mich sehr informative und hilfreiche - Artikel
gelöscht werden sollte” (Lüdeke, Wikimedia 2011, S. 66). Gelegentlich
wird die Löschdiskussion deshalb intern auch als ”Löschhölle” bezeichnet
(vgl. ebd., S. 65).
Es gibt mehrere Gründe, die zu einer Löschung führen können.
Möglicherweise entspricht der Artikel nicht den Relevanzkriterien oder
es wurde gegen weitere Anforderungen verstoßen. Besteht jedoch der
Verdacht auf einen Verstoß gegen das Urheberrecht oder beinhaltet der
Artikel fehlerhafte Inhalte, kann ein Schnelllöschantrag (SLA) beantragt
werden. Teilweise kommt es zur sofortigen Löschung des Artikels.
Andernfalls besteht eine Zeitspanne von sieben Tagen, währenddessen
jeder Benutzer in der Löschdiskussion über den Erhalt oder die Löschung
des Artikels diskutieren kann.
Ein Administrator entscheidet nach dieser Frist nach den
Wikipedia-Regeln, ob der Löschantrag entfernt oder umgesetzt wird. Es
ist von zentraler Bedeutung, dass sich der Autor des Artikels an der
Löschdiskussion beteiligt. Bei der Diskussion sollte sachlich korrekt
und vernünftig argumentiert werden. Größtenteils werden die Artikel
während der Frist überarbeitet, so dass der Löschantrag zurückgezogen
wird. Hierbei können zusätzliche Belege von Vorteil sein. Löschanträge
sind demnach sinnvolle Arbeitsmittel, um die Autoren auf unzureichende
Artikel aufmerksam zu machen (vgl. van Dijk 2010, S. 58f.).
Eingangskontrolle
Beobachtungslisten
Die beiden aufgeführten Formen der Bearbeitung, das Editieren eines
bereits existierenden und das Hinzufügen eines neuen Artikels,
durchlaufen immer eine Eingangskontrolle. Darunter versteht man, dass
jede Bearbeitung für alle Benutzer sowohl bei den “letzten Änderungen”
als auch bei den benutzereigenen “Beobachtungslisten” aufgeführt wird.
Ausgewählte Wikipedianer verfügen zusätzlich über weitere
Softwarefunktionen, um Änderungen zeitnah kontrollieren und Vandalismus
verhindern zu können (vgl. Raschka, Wikimedia 2011, S. 86f.).
Bei den Beobachtungslisten handelt es sich um ein weiteres besonderes
Feature, das nur angemeldeten Benutzern zur Verfügung steht. Artikel,
die selbst hinzugefügt oder bearbeitet wurden, können zu der eigenen
Beobachtungsliste hinzugefügt werden. Damit erhält man einen Überblick
über alle weiteren Editierungen, die an dem Artikel vorgenommen werden.
Damit eine Seite in der Beobachtungsliste erscheint, muss der weiße
kleine Stern in der Mitte des oberen Seitenrands angeklickt werden.
Anschließend leuchtet der Stern blau auf. Dieser Vorgang kann jederzeit
rückgängig gemacht werden. Alle Veränderungen können über den Link
“Beobachtungsliste” eingesehen und chronologisch angezeigt werden.
Zusätzlich besteht die Möglichkeit, den Unterschied der neuesten zur
vorherigen Version einzusehen (vgl. van Dijk 2010, S. 73f.).
Kommunikationskanäle bei Wikipedia
Die Wikipedia bietet facettenreiche Möglichkeiten, um mit anderen
Benutzer in Kontakt zu treten oder einen Kommentar abzugeben. Dazu
zählen u.a.:
Diskussionsseiten: Jeder Artikel und viele andere Seiten in der
Wikipedia besitzen eine Diskussionsseite. Diese dient u.a. für Fragen,
Bemerkungen oder Änderungsvorschläge hinsichtlich der Artikel. Hier geht
es also um ein Instrument zur Verbesserung der Artikel. Die
Diskussionsseiten sind aber auch für reine LeserInnen von großem
Interesse und bieten hilfreiche Zusatzinformationen über den bloßen Text
des Artikels hinaus.
Diskussionen: In der Wikipedia befinden sich spezielle Seiten,
die für Diskussionen angelegt sind. Ein Beispiel für eine Diskussion
befindet sich auf der Hauptseite, die unter dem gleichnamigen Link
erreichbar ist. Hier können Fragen gestellt und diskutiert werden. Diese
Seiten werden sowohl von Neulingen als auch von erfahrenen Wikipedianern
genutzt.
Benutzerdiskussionsseite: Diese Seite ermöglicht den direkten
Kontakt mit anderen Wikipedianern. Wird eine Nachricht hinterlassen,
erhält der Benutzer eine Benachrichtigung.
E-Mail: Eine nicht-öffentliche Kontaktaufnahme mit einem anderen
Benutzer kann über E-Mail stattfinden. Bei der Angabe einer E-Mail-Adresse
in den Einstellungen verfügt jeder Benutzer auf der Benutzerseite über
die Funktion “E-Mail an diesen Benutzer”.
Support-Team: In Beschwerdefällen kann eine E-Mail an das
Support-Team gesendet werden. Das Team besteht aus Freiwilligen und
sollte nur benachrichtigt werden, wenn alle anderen Verfahrenswege kein
Ergebnis erzielten. Das Support-Team hat viele Aufgabenbereiche, die auf
der Seite
Wikipedia:Support-Team nachgelesen werden können.
Die Finanzierung des Projekts erfolgt durch Spenden. Wikipedia-Gründer
Jimmy Wales ist sich selbst nicht sicher, ob “es entweder meine klügste
oder dümmste Idee war”, sich gegen ein kommerzielles Interesse
entschieden zu haben (Wales, Wikimedia 2011, S. 9).
Wikipedia basiert auf der Grundidee von Open Source, d.h. für
jedermann frei und kostenlos zugänglich zu sein sowie keinen Profit aus
dem Projekt zu erzielen. Um diese Idee zu verwirklichen, errichtete
Wales 2003 die Wikimedia Foundation und übertrug ihr die Rechte an der
Online-Enzyklopädie (vgl. Stöcklin 2010, S. 28). Die Wikimedia
Foundation benötigt (relativ) geringe finanzielle Mittel, die (bislang)
durch Spenden abgedeckt werden können.
Seit 2003 werden die Nutzer von Wikipedia jährlich zum Spenden
aufgerufen. Das non-profit Projekt soll weiterhin kostenlos,
werbefrei und (dadurch) unabhängig bleiben. Zahlreiche
Autoren und Spender der Wikipedia werben jedes Jahr für den
Spendenaufruf auf den Wikipedia-Seiten mit eigenem Porträtfoto.
Beim jüngsten Spendenaufruf (Ende 2011) konnte eine Rekordsumme von 20
Millionen Dollar von mehr als einer Million Spendern eingeworben werden.
Eine Großspende von 500.000 Dollar erhielt Wikipedia vom Google-Gründer
Sergey Brin und dessen Frau Anna Wojcicki (FAZ,
03.01.2012).
Google spendete der Wikimedia Foundation schon im Jahr 2010 zwei
Millionen Dollar (heise
online, 17.02.2010). Die größte Spende kam jedoch im Jahr 2008 von
der Alfred P. Sloan Foundation. Sie spendete drei Millionen Dollar (cnet
news, 25.03.2008).
Die Spendenkampagne von Wikimedia Deutschland e.V. verläuft getrennt von
der Spendenaktion der amerikanischen Wikimedia Foundation. Dieses Jahr
spendeten über 160.000 Menschen mehr als 3,8 Millionen Euro an den
deutschen Förderverein.
Die Spenden werden für verschiedene Aufgaben eingesetzt. Das meiste Geld
wird für die Softwareentwicklung benötigt. Zudem sollen internationale
Projekt der Wikipedia unterstützt werden, um die Online-Enzyklopädie in
weiteren Sprachen zu fördern. Außerdem müssen die Löhne der rund zwanzig
Festangestellten bezahlt werden (vgl.
Wikimedia:Ihre Spende wirkt).
Die folgenden
Zitate spiegeln eine Auswahl an Gründen wider, die einzelne
Personen zum Spenden motivieren:
Dr.
Georgios Papagiannopoulos, Münchberg (24. Dezember 2011):
“Freies Wissen ist einer der Grundsteine der Demokratie und
der Freiheit. Alles kann beraubt werden, das Wissen aber nicht!”
Udo Domröse,
Mömbris (24. Dezember 2011): “Eine freie Enzyklopädie ist
einfach eines der wichtigsten Kinder der globalen Vernetzung.
Aus meiner eigenen beruflichen Praxis weiß ich, dass
Darstellungen aus Wikipedia auch Menschen in solchen Ländern
erreichen, in denen Meinungsfreiheit noch nicht so groß
geschrieben wird. So trägt Wikipedia zur Globalisierung der
Freiheit bei.”
Anonym (1.
Januar 2012): “Wikipedia sehe ich als unabhängige Organisation,
die mir unentgeltlich Informationen zur Verfügung stellt. Auch
wenn ich es nicht immer überprüfen kann, ob alles zu 100 %
stimmt (gibt es das überhaupt?), ist es für mich genial, mit
einem Mausklick Informationen zu bekommen.”
Ruben Küker
(1. Januar 2012): “Die Wikipedia setzt sich das Ziel, Wissen
kostenfrei für alle Menschen bereitzustellen. Wissen und
Aufklärung sind nach meiner Auffassung Grundrechte, die
niemandem verwehrt werden dürfen. Der technische Aufwand
jedoch fordert auch seine Kosten. Dass die Wikipedia weiterhin
werbefrei und unabhängig bleibt, spielt eine große Rolle.
Darum habe auch ich gespendet.”
Werner
Krauskopf, Kronberg (1. Januar 2012): “Das Wissen der Welt
muss allen Menschen zur Verfügung stehen, ohne dass sie dafür
bezahlen müssen. Wikipedia hilft (auch mir) dabei - jeden
Tag!”
Nahne
Ingwersen, Berlin (3. Februar 2012): “Warum ich für Wikipedia
gespendet habe? Ich kenne niemanden, der es nicht benutzt.”
Diese und
weitere Spendenkommentare können
hier nachgelesen werden.
Gemeinsamkeiten aller Projekte
Wiktionary
8. Weitere Projekte der Wikimedia Foundation
Wikipedia ist zweifellos das bekannteste und erfolgreichste Projekt
der
Wikimedia Foundation, aber im Schatten von Wikipedia verfolgt
die Stiftung eine Reihe von weiteren interessanten Projekten, die in
diesem Abschnitt kurz vorgestellt werden sollen.
Allen Projekten ist gemeinsam, dass sie die Software
MediaWiki verwenden und auf freiwilliger Mitarbeit basieren.
Durchgängig wird eine
Creative
Commons Lizenz verwendet. Die Inhalte sind also frei nutzbar und
dürfen verändert werden. Im Rahmen des von der Lizenz erlaubten
dürfen sie auch kopiert und weitergegeben werden.
Bereits ein Jahr nach dem Start der Wikipedia (2001) wurde 2002
Wiktionary
ins Leben gerufen. Ziel dieses Schwesterprojekts aus der
Wikimedia-Familie ist die gemeinschaftliche Erstellung freier
Wörterbücher und Thesauri aller Sprachen. Zwischenzeitlich ist das
"Online-Dictionary"auf über 3 Millionen Artikel in mehr als 100
Sprachversionen angewachsen.
Projektfamilie der Wikimedia Foundation
Wikiquote
Wikibooks
Wikisource
Im Juli 2003 fiel der Startschuss für zwei weitere Projekte: Während
Wikiquote dazu
dient, Zitate bekannter Persönlichkeiten, Sprichwörter, Merk- und
Sinnsprüche, Slogans etc. zu sammeln (die
deutsche Sprachversion besteht im Moment aus knapp 7000 Artikeln),
geht es bei
Wikibooks darum, frei nutzbare elektronische Bücher mit
Lehrmittelcharakter zusammenzustellen. Das können Lehrbücher sein, aber
auch Sprachkurse oder Anleitungen. Das Projekt richtet sich an
SchülerInnen, Studierende und Lehrende, die die Ressourcen für den
Unterricht oder zum Selbststudium nutzen können.
Im November 2003 stieß ein weiteres Projekt zur Wikimedia-Familie:
Wikisource sammelt freie Quellentexte. "Darunter fallen", so die
Projektbeschreibung
auf der Website der Stiftung, "auch literarische und lyrische Werke,
vor allem jedoch Fachliteratur, die entweder gemeinfrei veröffentlicht
wurde oder deren Kopierschutz ausgelaufen ist. Wikisource ist keine
Sammlung neu verfasster Texte von Benutzern, es verfolgt anders als die
übrigen Projekte den Ansatz, Werke in einer bestimmten korrekten Form zu
sammeln, die innerhalb des Projektes nicht mehr verändert werden sollten,
jedoch frei nutzbar sind."
Wikispecies
Wikimedia Commons
Wikinews
Wikiversity
Im Rahmen von
Wikispecies soll ein offenes und freies Artenverzeichnis mit
wissenschaftlichem Anspruch entstehen. Im Moment umfasst das Wiki
bereits mehr als 300.000 Artikel.
Im September 2004 begann die Stiftung, mit
Wikimedia Commons ein zentrales Repositorium für freie Bilder,
Videos, Musik und gesprochene Texte zu schaffen, die in andere
Wikimedia-Projekte, v.a. natürlich in Wikipedia integriert werden können.
Im Moment gibt es mehr als 12 Millionen freie Mediendateien!
Wikinews wurde
Ende 2004 begonnnen und ergänzt Wikipedia um aktuelle Nachrichten: "Wikinews-Teilnehmer
aus der ganzen Welt schreiben gemeinsam Nachrichten. Die Werke reichen
von Originalberichten bis zu Zusammenfassungen von Nachrichten externer
Quellen. Für all diese Werke gilt, dass sie unter neutraler Sichtweise
verfasst werden" (siehe
http://wikimediafoundation.org/wiki/Unsere_Projekte).
Den bislang jüngsten Zuwachs (August 2006) bildet
Wikiversity,
eine Plattform zum gemeinschaftlichen Lernen, Lehren, Nachdenken und
Forschen. Dabei ist der Name irreführend, denn es soll nicht nur um den
universitären Bereich gehen. "Wikiversity ist offen für Materialien und
Gemeinschaften jeglicher Lernaktivitäten. Die Art und Weise, wie
Lernaktivitäten und -gemeinschaften unterstützt werden können, wird
immer noch erforscht" (siehe
http://wikimediafoundation.org/wiki/Unsere_Projekte). Ein Blick auf
die Seite zeigt aber dann doch, dass die Universität Modell steht
("Cafeteria", "Campus"). Noch ist nicht klar, welche Arbeitsteilung mit
verwandten Projekten wie Wikibooks vorgesehen ist.
Insgesamt wird deutlich, dass der Erfolg von Wikipedia die Stiftung zu
beflügeln scheint. Innerhalb weniger Jahre wurden die Grundlagen für
viele weitere vielversprechende Projekte gelegt. Wie bei der Wikipedia
gilt aber auch hier: Die Sache funktioniert nur dann und nur solange,
wie die jeweilige Community das Projekt trägt und verteidigt.
"Kein anderes Social-Software-Projekt hat in den letzten Jahren so viel
Aufmerksamkeit, Bewunderung und Kritik erfahren wie die Online-Enzyklopädie
Wikipedia. Das große Interesse an der Wikipedia lässt sich nicht allein
damit erklären, dass scheinbar aus dem Nichts innerhalb weniger Jahre
die größte Enzyklopädie der Welt entstand. Aufsehen erregte vor allem,
wie sie entstand: In der Wikipedia kann nicht nur jeder Benutzer
eigene Artikel erstellen, sondern auch fremde Lexikoneinträge frei
bearbeiten" (Ebersbach u.a. 2011, S. 55).
Jede/r kann mitschreiben an dieser Enzyklopädie. An diesem zentralen
Erfolgsfaktor entzündet sich auch die immer wieder vorgebrachte Kritik:
"Was soll schon rauskommen, wenn jeder schreiben kann, was er will!"
Hinter dieser Kritik steht das tief verankerte Vorurteil, dass die Masse
dumm sei. Als Kronzeugen werden in der Regel Charles Mackay (Extraordinary
Popular Delusions and the Madness of Crowds, 1841) und Gustave Le
Bon (Psychologie des Foules, 1895 – deutsch: Psychologie der
Massen) aufgerufen. An Belegen scheint es nicht zu fehlen, die
Geschichte bietet reichlich Anschauungsmaterial für dumme Massen (von
Lynch-Mobs bis hin zu periodisch wiederkehrenden Spekulationsblasen an
der Börse). Wikipedia kann demnach nicht gut sein, weil das Welt- und
Menschenbild dies nicht zulässt.
Weisheit der Vielen
"Massen" – Gruppen von Menschen – sind aber nicht per se dumm, ebenso
wenig sind sie aber auch immer weise, wie Surowieckis These von der "wisdom
of crowds" häufig missverstanden wird. In seinem Buch "The Wisdom
of Crowds" gelingt es ihm zu zeigen, unter welchen Bedingungen
Gruppen gute bzw. schlechte Entscheidungen treffen (siehe Seite "Weisheit
der Vielen"). Und er weist auf einen Umstand hin, der hilft, die
Widerstände gegen Wikipedia besser zu verstehen: "One of the striking
things about the wisdom of crowds is that even though its effects are
all around us, it’s easy to miss, and, even when it’s seen, it can be
hard to accept" (Surowiecki 2005, S. XIV).
Warum ist Wikipedia so erfolgreich?
Der Erfolg von Wikipedia mag schwer zu akzeptieren sein – auch und
gerade, wenn man Teil der traditionellen Wissenselite ist –, schwer zu
verstehen ist er nicht: Ein ausgegebenes Ziel (das Wissen der Menschheit
zu sammeln und frei zugänglich zu machen) hat sich als so attraktiv
erwiesen, dass sich eine ausreichend große und heterogene Community
zusammengefunden hat, um das Projekt in Angriff zu nehmen. Und bislang
ist es gelungen, die Community bei der Stange zu halten. Dabei war
sicherlich hilfreich, dass es sich um ein non-profit Projekt
handelt, das sich ausschließlich über Spenden finanziert. Hinzu kommt,
dass das eingesetzte Mittel (Wiki-Software) ausreichend einfach zu
bedienen ist.
Grundprinzipien
David Weinberger (2011, S. 168) bringt es auf den Punkt, wenn er
schreibt: "The network of Wikipedians is bound together by shared
enthusiasm, an ethos, and constitutional principles." Geht man der Frage
nach, ob Wikipedia eine zuverlässige Quelle darstellt, verdienen die
"constitutional principles" besondere Beachtung, die wir – ihrer
Bedeutung entsprechend – ausführlich dargestellt haben (2.
Grundprinzipien der Wikipedia). Das erste der vier Grundprinzipien
ist das wichtigste:
Wikipedia ist eine Enzyklopädie. Das scheint auf den ersten Blick
banal zu sein, kann aber in seiner Bedeutung kaum überschätzt werden,
wie in der Folge auszuführen sein wird. Außerdem hat die Tatsache, dass
Wikipedia ein bekanntes Konzept – das der Enzyklopädie – aufgreift,
wesentlich zum Erfolg beigetragen, weil sich dadurch (manche)
Koordinierungsfragen erst gar nicht stellten, wie Clay Shirky (2008, S.
116) betont:
"Wikipedia, like all social tools, is the way it is in part because of
the way the software works and in part because of the way the community
works. Though wikis can be used for many kinds of writing, the early
users were guided by the rhetorical models of existing encyclopedias,
which helped synchronize the early work: there was a shared awareness of
the kind of writing that should go into a project called Wikipedia. This
helped coordinate the users in ways that were not part of the software
but were part of the community that used the software."
Was Wikipedia nicht ist
Community ist der entscheidende Faktor
Dass Wikipedia eine Enzyklopädie ist, hat zur Folge, dass es vieles
andere nicht sein kann, etwa ein Wörterbuch, ein Forum für den Austausch
von (wissenschaftlichen) Ideen oder Theorien, ein Nachrichtenportal usw.
Zur Frage, was Wikipedia nicht ist, gibt es sogar eine
eigene Seite auf Wikipedia. Für viele dieser anderen Zwecke hat die
Wikimedia Foundation Schwesterprojekte wie Wikinews oder Wiktionary ins
Leben gerufen (8. Weitere Projekte der Wikimedia Foundation).
Zum Konzept der Enzyklopädie gehört weiterhin zwingend – und dabei
handelt es sich um das zweite Grundprinzip der Wikipedia –, dass die
Artikel möglichst neutral sein sollen. Dafür steht das zwischenzeitlich
über die Reihen der Wikipedianer hinaus bekannt gewordene Kürzel NPOV
("neutral point of view"). Über die Einhaltung dieser Prinzipien (und
weiterer Regeln beispielsweise hinsichtlich der Relevanz von Artikeln)
wacht die Community. Sie ist der entscheidende Faktor, der in den
gängigen Vorwürfen ("da kann jeder reinschreiben, was er will")
ausgespart bleibt. Wikipedia funktioniert, weil und solange ausreichend
viele Menschen Beiträge leisten UND weil und solange die Community dem
Vandalismus Herr werden kann.
Bedrohung durch Vandalismus
Qualität als zentrales Ziel
Vandalismus – der Missbrauch des Projekts – stellt die größte Bedrohung
dar. Die Formen sind vielfältig: falsche oder einseitige Informationen,
aus Dummheit oder zu PR-Zwecken (Wikipedia zählt zu den zehn am meisten
besuchten Websites der Welt!). Die Community reagiert laufend auf diese
Bedrohung und probiert neue Instrumente aus. So wurde etwa die Sichtung
eingeführt. Das bedeutet, dass Bearbeitungen von Neulingen erst sichtbar
werden, wenn sie gesichtet wurden und bei dieser Prüfung festgestellt
wurde, dass es sich nicht um offensichtlichen Vandalismus handelt.
Diese und weitere Maßnahmen dienen der Qualitätssicherung und -steigerung,
einem zentralen Ziel der Wikipedia. Schritt für Schritt werden die
Ansprüche an die Artikel hochgeschraubt. Sichtbares Zeichen hierfür ist,
dass zunehmend Belege für die Informationen beigefügt werden müssen.
Wikipedia nähert sich damit immer mehr wissenschaftlichen
Gepflogenheiten. Außerdem wurden Auszeichnungen eingeführt ("Lesenswerter
Artikel", "Exzellenter Artikel"), die nicht nur zur Motivation der
AutorInnen beitragen, sondern auch ausgesprochen hilfreich für Leser
sind.
Wikipedia ist ein zuverlässiges LEXIKON, kein Ersatz für Fachliteratur
Lesen alleine
reicht nicht
mehr als ein Lexikon
sinnvolle Nutzung
Wikipedia-Verbot nicht nur ungerechtfertigt, sondern schädlich
Die Frage, ob Wikipedia eine zuverlässige Quelle ist, kann also mit ja
beantwortet werden, sofern dieses Lexikon auch als solches genutzt wird
(z.B. als Einstieg in ein neues Thema und nicht als Ersatz für
Fachliteratur). Denn "glücklicherweise gibt es [...] weit mehr Autoren,
die richtige Informationen einstellen, als solche, die Fehler verbreiten"
(Richardson 2011, S. 96). Die Zuverlässigkeit gilt uneingeschränkt für
Artikel mit Auszeichnung. Sie wird im übrigen durch einschlägige Studien
bestätigt (z.B. Giles 2005 oder Günderoth/Schönert 2007).
Bei "normalen" Artikeln müssen allerdings mehrere Aspekte beachtet
werden. So kann nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass man das
Pech hat, einen Artikel zu lesen, der kurz zuvor von einem Vandalen
heimgesucht wurde. Das heißt, dass neben dem Text des Artikels auch die
Versionsgeschichte und gegebenenfalls die Diskussionsseite einbezogen
werden muss, was – nebenbei bemerkt – beim Einstieg in ein Thema über
das Aufspüren von Vandalismus hinaus sehr hilfreich sein kann. Im
Unterschied zu herkömmlichen Lexika wird man sofort auf strittige
Aspekte und Kontroversen aufmerksam, die ansonsten von typischen
Lexikonformulierungen überdeckt werden.
"Wikipedia ist", so Stefan Münker (2009, S. 97), "tatsächlich mehr als
ein bloßes Nachschlagewerk geronnenen Wissens: Sie ist, gerade auf den
jeden Artikel begleitenden Diskussionsseiten, auch die Live-Dokumentation
der Entstehung und des Wandels von Wissen; sie ist aber auch [...]
aufgrund ihres Erfolges dafür verantwortlich, dass wir über den Begriff
des Wissens selber neu nachdenken müssen!"
Hinsichtlich der Frage nach der Verlässlichkeit lässt sich bilanzieren:
Nutzt man die Online-Enzyklopädie angemessen, also beispielsweise
um sich einen groben Überblick über eine (neue) Thematik zu verschaffen
(hier kann auch
WikiMindMap sehr hilfreich sein, ein Dienst, der auf Wikipedia
aufsetzt),
um Begriffe zu klären, bei denen es nicht um die zentrale Fragestellung
der zu erstellenden Arbeit geht, sondern bei denen ein schnelles
Nachlesen en passant genügt,
um weitere Quellen zu einem (neuen) Thema zu finden (Belege, Links),
um sich über aktuellere Entwicklungen zu informieren, die noch nicht in
Fachbüchern zu finden sein können,
dann spricht nichts gegen den Einsatz von Wikipedia. Darüber hinaus wäre
ein Wikipedia-Verbot schädlich, würde man sich doch einer
vielversprechenden Chance berauben, im Unterricht oder in Seminaren im
Sinne des Lernens 2.0 auf Wissen(sgenerierung) im Web 2.0-Zeitalter zu
sprechen zu kommen. Wie kann web literacy besser vermittelt
werden als anhand einer Auseinandersetzung mit einem Wikipedia-Artikel?
Wo wird "Lernen als Prozess" anschaulicher? Kurz und gut: Man kann
Wikipedia nicht nur nutzen, man sollte Wikipedia sogar nutzen,
gerade in der Schule und an der Hochschule.
Dabei versteht sich von selbst, dass für Wikipedia das gleiche gilt wie
für alle Quellen: Man sollte sich nie auf eine einzige Quelle verlassen,
immer mehrere Quellen verwenden und diese kritisch prüfen. Für den
Bereich wissenschaftlicher Arbeiten kann nur unterstrichen werden, was
Christian Spannagel bereits 2006 in seinem
Blog-Beitrag "Wikipedia als Quelle in wissenschaftlichen Arbeiten"
geschrieben hat:
"Eine wichtige Voraussetzung wissenschaftlichen Arbeitens ist die
Kenntnis der relevanten wissenschaftlichen Literatur (Fachbücher,
Zeitschriften, Journalartikel usw.). Mit Hilfe einer Enzyklopädie (wie
beispielsweise Wikipedia) kann man sich einen groben Überblick über ein
Wissensgebiet verschaffen. Durch die Lektüre wissenschaftlicher
Literatur eignet man sich detailliertes Expertenwissen an. Niemand wäre
früher auf die Idee gekommen, nur den Brockhaus als Quelle beim
Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten zu verwenden und stattdessen auf
die Lektüre wissenschaftlicher Quellen zu verzichten. Es wird auch
niemand ernsthaft behaupten wollen, dass man sich mit Hilfe eines
Wikipedia-Artikels in ein wissenschaftliches Gebiet einarbeiten kann.
Dafür hat Wikipedia andere Qualitäten."
Das folgende Video "Wikipedia: Beneath the
Surface" fasst viele zentrale Aspekte rund um die Online-Enzyklopädie
nochmals (in englischer Sprache) zusammen:
Ebersbach, Anja / Glaser, Markus / Heigl, Richard (20112), Social
Web, UVK, S. 39-60: „Wikis“.
Giles, Jim (2005), Special Report: Internet Encyclopaedias Go
Head to Head; in: Nature, No. 7070, Vol. 438, S. 900-901.
Günderoth, Horst / Schönert, Ulf (2007), Wie gut ist Wikipedia?,
in: Stern 50/2007, S. 30ff.
Münker, Stefan (2009), Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die
Sozialen Medien im Web 2.0, Suhrkamp, S. 95-102: „Kollektives Wissen und
der Erfolg von Wikipedia“.
Pscheida, Daniela (2010), Das Wikipedia-Universum. Wie das
Internet unsere Wissenskultur verändert, Transcript Verlag.
Richardson, Will (2011), Wikis, Blogs und Podcasts. Neue und
nützliche Werzeuge für den Unterricht, Tibia Press, S. 95-116: „Wikis.
Gemeinschaftsarbeit leicht gemacht“.
Schuler, Günter (2007), Wikipedia inside. Die Online-Enzyklopädie
und ihre Community, UNRAST Verlag.
Shirky, Clay (2008), Here Comes Everybody. The Power of
Organizing Without Organizations, Penguin, S. 109-142: “Personal
Motivation Meets Collaborative Production”.
Stöcklin, Nando (2010), Wikipedia clever nutzen - in Schule und
Beruf, Orell Füssli Verlag AG.
Surowiecki, James (2005), The Wisdom of Crowds, Anchor Books.
Tapscott, Don / Williams, Anthony D. (2007), Wikinomics. Die
Revolution im Netz, Hanser, S. 71-76: „Die Enzyklopädie, an der jeder
mitschreiben kann“.
Van Dijk, Ziko (2010), Wikipedia. Wie Sie zur freien Enzyklopädie
beitragen, Open Source Press.
Weinberger, David (2008), Das Ende der Schublade. Die Macht der
neuen digitalen Unordnung, Hanser, S. 160-176: „Anonyme Verfasser“.
Weinberger, David (2011), Too Big to Know. Rethinking Knowledge
now that the Facts aren't the Facts, Experts are Everywhere, and the
Smartest Person in the Room is the Room, Basic Books.
Wikimedia Deutschland e.V. (2011), Alles über Wikipedia. Und die
Menschen hinter der größten Enzyklopädie der Welt, Hoffmann und Campe
Verlag.
1998-2011 D@dalos - politische Bildung, Demokratieerziehung,
Menschenrechtsbildung, Friedenspädagogik (ein Projekt von
Pharos e.V.), Web:
Gesellschaft Agora