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Inhaltsverzeichnis


Themen des Online-Lehrbuchs zur EU:

Einleitung

Bedeutung der EU

Was ist die EU?

EU-Entwicklung

EU-Institutionen

 Rat der EU

 Europäische Kommission

 Europäisches Parlament

 Gerichtshof der EU

 Europäischer Rat

 Nationale Ebene

 Zusammenspiel

EU-Internetrecherche

 


EU-Institutionen

Das EU-Institutionengefüge im Zusammenspiel

Während bei den bisherigen Teilen dieses Abschnitts recht schnell klar war, welche Inhalte sie umfassen sollten, hat uns die Gestaltung des vorliegenden Kapitels einiges Kopfzerbrechen bereitet.

Das Zusammenspiel der Institutionen weist nicht nur grundsätzlich ein außerordentlich hohes Maß an Komplexität auf, es unterscheidet sich auch von Politikfeld zu Politikfeld ganz beträchtlich, was unter anderem damit zusammenhängt, dass in einzelnen Bereichen besondere Institutionen existieren, auf die wir in unserem allgemeinen Überblick natürlich nicht eingehen können.


 

Dazu gehören unter anderem der Sonderausschuss Landwirtschaft, der kürzlich seinen 50. Geburtstag feierte und in der Gemeinsamen Agrarpolitik im wesentlichen die Aufgaben wahrnimmt, die COREPER in anderen Bereichen oder der Hohe Vertreter für die Außenpolitik im Bereich der Auswärtigen Beziehungen und Sicherheitspolitik erfüllt. Der Versuch, Ihnen ein auch nur annähernd vollständiges Bild zu vermitteln, wäre aus diesem Grund von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen.

Dann existieren auch nach dem Inkrafttreten des Lissaboner Vertrags unterschiedliche Entscheidungsverfahren, zum Teil sogar innerhalb von Politikbereichen. Hinzu kommt, dass, auch wenn die Säulenstruktur abgeschafft wurde, in der Außen- und Sicherheitspolitik weiterhin völlig anders verfahren und praktisch durchgängig nach dem Einstimmigkeitsprinzip entschieden wird.

Hinzu kommt als dritter und zentraler Punkt, dass wir — aus Gründen, die an zahlreichen Stellen dieses Online-Lehrbuchs immer wieder dargelegt wurden — die EU als Mehrebenensystem verstehen und von daher das Postulat, Ihnen die Entscheidungsabläufe in ihrem Mehrebenen-Charakter zu demonstrieren, für uns von entscheidender Bedeutung ist.


Anlage des Kapitels

Vor dem Hintergrund dieser Ausgangsbedingungen, Erfordernisse und Anliegen soll bei der Vorstellung des Zusammenspiels der Institutionen wie folgt vorgegangen werden. Wir werden Ihnen

  • zunächst in der gebotenen Kürze ein einfaches, aber sehr hilfreiches politikwissenschaftliches Modell vorstellen, das hilft, Entscheidungsabläufe in strukturierter Form zu analysieren und damit besser zu verstehen;

  • dann auf der Grundlage dieses Modells zeigen, wie Entscheidungsprozesse ganz allgemein im EU-Mehrebenensystem verlaufen, und schließlich, aufbauend auf den hier gewonnenen Erkenntnissen,

  • die Grundzüge des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens erläutern, das seit dem Inkrafttreten des Lissaboner Vertrags das am häufigsten zur Anwendung kommende Verfahren darstellt.













Modell des Policy-Zyklus


Entscheidungsabläufe in der Politik — das Modell des Policy-Zyklus

Natürlich haben wir alle eine gewisse Vorstellung davon, wie Entscheidungsabläufe in der Politik — also wenn es, kurz gesagt, darum geht, ein Gesetz zu verabschieden — aussehen. Den Ausgangspunkt bildet in der Regel ein Problem, zum Beispiel, dass die Gesundheitsausgaben aus dem Ruder laufen. Dann werden unterschiedliche Lösungsvorschläge dazu unterbreitet, zumeist kontrovers diskutiert und anschließend entweder einer davon oder ein Kompromiss, der Elemente mehrerer Vorschläge enthält, mit Mehrheit als Gesetz verabschiedet. Dieses Verständnis blendet allerdings zahlreiche wichtige Aspekte aus und reicht für eine systematische Herausarbeitung der Merkmale von Entscheidungsprozessen und deren Vergleich mit anderen Systemen nicht aus.

Die Vergleichende Politikforschung hat deswegen Modelle entwickelt, die genau dies — eine systematische Herangehensweise und den Vergleich — erleichtern helfen. Eines davon zeigt die nachstehende Abbildung, die verschiedene idealtypische Phasen unterscheidet, die politische Entscheidungsprozesse durchlaufen, und uns bereits durch den Begriff "Zyklus" darauf aufmerksam macht, dass sich diese Prozesse in vielen Fällen mehrfach wiederholen. Das ist aber nicht der einzige Vorzug dieses Modells. Hinzu kommt, dass es nicht nur ein vollständigeres, sondern auch ein präziseres Bild der verschiedenen Phasen oder Stufen vermittelt.





Problemdefinition



So geht es bei der Problemdefinition darum, dass ein bestimmtes Problem als solches ins öffentliche Bewusstsein tritt und aufgrund der Forderungen bestimmter Gruppen und dominanter gesellschaftlicher Wertvorstellungen als politisch handlungsrelevant definiert wird. Bezogen darauf fallen sofort zwei wesentliche Besonderheiten der EU ins Auge. Einmal kann es, bedingt durch die Zusammensetzung der Union aus Nationalstaaten mit unterschiedlichen politischen Kulturen und Staatsverständnissen, erheblichen Dissens darüber geben, ob ein Problem durch die Politik gelöst werden sollte. Zum zweiten bleibt, selbst wenn darüber Konsens erzielt werden kann, immer noch die brisante Frage zu klären, durch welche Ebene des Mehrebensystems dies geschehen soll, durch die supranationale, die nationale oder subnationale. Das gilt umso mehr, als seit dem Inkrafttreten des Lissaboner Vertrages die nationalen Parlamente in Fragen der Subsidiarität zu wichtigen Mitspielern geworden sind.



Agenda-Setting


In der Phase des Agenda-Setting muss darüber entschieden werden, wer sich auf der politischen Bühne, wann und in welcher Form mit dem Problem beschäftigen soll. Auch diesbezüglich stellt sich angesichts des komplexen Institutionengefüges sowie der in dieser Form einmaligen Form der Kompetenzverteilung zwischen den Organen die Situation in der Union deutlich schwieriger dar als in Nationalstaaten. Hinzu kommt die Tatsache, dass unterschiedliche Entscheidungsverfahren vorhanden sind und durchaus nicht immer klar ist, welches zur Anwendung kommen sollte.



Politikformulierung



Implementation


Begleitet von Versuchen der Einflussnahme findet dann im Rahmen der Spielregeln des jeweiligen Systems und durch die von diesen bestimmten Akteure die Politikformulierung statt, an deren Ende ein Gesetz, eine Verordnung etc. steht. Wie das für die EU aussieht, soll im nächsten Teil mit Hilfe einiger Schaubilder näher erläutert werden.

Die Phase der Implementation (= Durchführung) verdient im EU-Mehrebenensystem besonderes Interesse. Einmal, weil diese Durchführung von EU-Gesetzen weitestgehend in den Händen der Verwaltungen der Mitgliedstaaten liegt, also in 27 unterschiedlichen politisch-administrativen Kulturen stattfindet, was eine Fülle von Schwierigkeiten mit sich bringen kann.

Hinzu kommt, dass die Union oftmals mit dem Instrument der Richtlinien arbeitet, die zwar die gemeinsamen Ziele vorgeben, aber die Umsetzung, und das heißt nicht zuletzt die Wahl der Mittel, den Mitgliedstaaten überlassen. Das schafft erhebliche Spielräume für diese, die oft bis an die Grenzen — und manchmal darüber hinaus — genutzt werden.

Die daraus resultierenden Politikergebnisse und -wirkungen schließlich rufen politische Reaktionen der Zustimmung oder Ablehnung hervor, die zur Weiterführung, Veränderung (Politikneuformulierung) oder Beendigung der Maßnahme führen. So weit das Modell des Policy-Zyklus, das wir nun zum Ausgangspunkt nehmen und auf dessen Grundlage wir zeigen wollen, wie Entscheidungsprozesse im EU-Mehrebenensystem ablaufen.


 



Entscheidungsprozesse im EU-Mehrebenensystem — ein Überblick





Problemdefinition im EU-System



Der formelle Beginn von Entscheidungsprozessen liegt immer in der Kommission, denn ohne einen Vorschlag von ihr kann — von wenigen Ausnahmen wie etwa der Außenpolitik abgesehen — kein Verfahren in Gang kommen. Anregungen für ein Tätigwerden können allerdings von einer Vielzahl von Akteuren kommen: Vertretern der Mitgliedstaaten, Experten, nationalen und transnationalen Verbänden sowie natürlich aus den Reihen der Kommission selbst. Diese Kontakte werden von der Kommission gezielt gesucht und gepflegt, sie sind auch vielfach institutionalisiert (Beratende Ausschüsse etc.). Den Grund dafür bilden Informationsdefizite und das Bemühen, Durchsetzungschancen von Vorschlägen möglichst frühzeitig auszuloten.



Agenda-Setting im EU-System


In der zuständigen Generaldirektion wird ein erster Entwurf erstellt, mit den anderen betroffenen Generaldirektionen abgestimmt und anschließend an das Kabinett des zuständigen Kommissars weitergeleitet. Das Kabinett prüft den Entwurf und legt ihn dem Kommissar vor. Nachdem er auch von diesem abgesegnet wurde, wird der Entwurf über den Generalsekretär der Kommission an alle Mitglieder versandt. Bei den einzelnen Kommissaren wird er zunächst durch die Kabinettchefs geprüft. Falls Konsens besteht, erfolgt die Annahme des Entwurfs in einem schriftlichen Umlaufverfahren; ansonsten findet eine Diskussion darüber in der Kommission statt, die gegebenenfalls zu einem Rückverweis an die zuständige Generaldirektion zur Überarbeitung und Wiedervorlage führen kann.

In dieser Phase sehen sich die Kommission und ihre Dienststellen einem intensiven Lobbying ausgesetzt. Nationale und transnationale Dach- und Fachverbände, Vertreter der Mitgliedstaaten, Vertreter regionaler Einheiten und — je nach Materie — Vertreter von Verbänden und Regierungen von Drittstaaten versuchen, den Prozess zu beeinflussen. Der Grund hierfür liegt auf der Hand: In diesem Stadium des Entscheidungsprozesses kann noch am leichtesten Einfluss genommen werden. Wenn ein formeller Vorschlag einmal vorliegt, sind Änderungen nur noch mit großen Schwierigkeiten zu erreichen.


 






Politikformulierung im EU-System



Mit der Vorlage eines offiziellen Vorschlags durch die Kommission beginnt die Phase der Politikformulierung, die in der Abbildung in vereinfachter Form abgebildet ist (die mit dem Lissaboner Vertrag neu eingeführte Beteiligung der nationalen Parlamente wurde hier zugunsten der Übersichtlichkeit nicht berücksichtigt). Der Rat holt die Stellungnahme des Europäischen Parlaments (EP) und eventuell des Wirtschafts- und Sozialausschusses (WSA) ein. Als Reaktion darauf kann es nochmals zu Modifikationen oder Ergänzungen des ursprünglichen Kommissionsvorschlags kommen.

Parallel zur Diskussion im EP und WSA befasst sich innerhalb des Rats zunächst die zuständige Arbeitsgruppe mit dem Vorschlag und bemüht sich, Übereinstimmungen und Unterschiede in den mitgliedstaatlichen Auffassungen herauszuarbeiten. Eine entsprechende Bestandsaufnahme wird dann an COREPER, den Ausschuss der Ständigen Vertreter, weitergeleitet. Je nach Verlauf in diesem Gremium geht der Vorgang entweder zurück an die entsprechende Arbeitsgruppe oder an den Rat. Die Optionen dort sind: Vertagung und zurück an COREPER, Entscheidung oder Befassung des Europäischen Rats.

Während der ganzen Phase der Politikformulierung finden ebenfalls intensive Versuche der Einflussnahme statt. Diese haben sich lange Zeit ganz überwiegend auf die eigene Regierung konzentriert, da das Einstimmigkeitsprinzip jeder Regierung de facto ein Veto-Recht in die Hand gab. Mittlerweile hat sich das, nachdem die qualifizierte Mehrheit sowie das ordentliche Gesetzgebungsverfahren zur Regel geworden sind, fundamental geändert. Auch die Kommission, das EP und sogar andere nationale Regierungen werden in die Einflussversuche einbezogen. Darüber hinaus spielen die europäischen Dach- und Fachverbände eine immer wichtigere Rolle. Es handelt sich also um zahlreiche Akteure, die in dieser Phase in vielen Konstellationen über die Ebenen hinweg miteinander interagieren.

Der weitere Verlauf des Entscheidungsprozesses hängt dann wesentlich davon ab, ob eine Verordnung oder eine Richtlinie am Ende der Politikformulierung steht. Verordnungen gelten direkt und unmittelbar in den Mitgliedstaaten, Richtlinien müssen dagegen in einer vorgegebenen Frist von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden, bevor sie zur Anwendung kommen können.





Implementation im EU-System


Entsprechend ergibt sich, wie die nachfolgende Abbildung zeigt, für die Implementationsphase folgendes Bild.




Bei Verordnungen (1) werden in den meisten Fällen zunächst Durchführungsbestimmungen durch die Kommission festgelegt, wobei sie dazu mit Vertretern der nationalen Verwaltungen und der Verbände des entsprechenden Bereichs in Verwaltungs- und Beratenden Ausschüssen zusammenarbeitet. Auch hier prägt also wieder eine enge Verflechtung und Kooperation von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren über die Ebenen hinweg den Entscheidungsprozess. Sobald diese Durchführungsbestimmungen erlassen sind, gelten sie unmittelbar in den Mitgliedstaaten und binden dort die Regierungen, regionale Einheiten sowie nichtstaatliche Akteure.

Bei Richtlinien (2) dagegen müssen zunächst die nationalen Gesetzgeber entsprechend der in den einzelnen Ländern geltenden Bestimmungen tätig werden. Das heißt, es werden — zumeist in enger Abstimmung zwischen allen Akteuren des betroffenen Politikfelds, staatlichen wie nichtstaatlichen — die Ausführungsbestimmungen erörtert und so weit wie möglich den nationalen Gegebenheiten sowie den Wünschen der Adressaten angepasst. Dabei werden die dazu vorhandenen Spielräume der Richtlinie häufig bis an die Grenze des Erlaubten genutzt.

Die Kontrolle über die ordnungsgemäße Durchführung liegt in allen Fällen bei der Kommission (3). Sie kann, wenn sie Abweichungen vermutet oder feststellt, den jeweiligen Mitgliedstaat zur Stellungnahme und gegebenenfalls zu Korrekturen auffordern. Sie hat darüber hinaus die Möglichkeit, bei offensichtlichen Verstößen eine Klage gegen den entsprechenden Mitgliedstaat vor dem Europäischen Gerichtshof anzustrengen.



Politikneuformulierung


Die Anstöße zur Politikneuformulierung können vielfältig sein: Sie können bereits im entsprechenden Programm vorgesehen sein; es können unvorhergesehene Implementationsprobleme auftauchen, die einzelne Mitgliedstaaten dazu veranlassen, auf Änderungen zu dringen und vieles mehr. Der Beginn eines neuen Zyklus erfolgt dann erneut mit der Problemdefinition, was auch heißt, dass sich der Schwerpunkt wieder von der nationalen auf die supranationale Ebene verlagert.

So viel zum grundsätzlichen Ablauf von Entscheidungsprozessen, der aufgrund einer ganzen Reihe von Faktoren erheblich variieren kann. Ein solcher Faktor ist, dass unterschiedliche Entscheidungsverfahren existieren. Das seit dem Inkrafttreten des Lissaboner Vertrags wichtigste und gebräuchlichste, nämlich das ordentliche Gesetzgebungsverfahren, möchten wir Ihnen nun vorstellen.











Ablauf des ordentlichen Gesetzgebungs-verfahrens



Ordentliches Gesetzgebungsverfahren

Das in vorherigen Fassungen der Verträge als Mitentscheidungsverfahren bezeichnete Verfahren kommt in fast allen Fällen zur Anwendung, in denen der Rat der EU mit qualifizierter Mehrheit entscheidet. Es zeichnet sich dadurch aus, dass hier das Europäische Parlament (EP) eine mit dem Rat gleichberechtigte Stellung einnimmt, denn ohne die Zustimmung des EP kann ein Rechtsakt nicht in Kraft treten.

Doch nun zum Ablauf dieses recht komplexen Verfahrens, der in Artikel 294 AEUV geregelt ist. Es kann bis zu drei Lesungen umfassen, wie die folgende Abbildung zeigt.



1. Lesung


Am Anfang steht der Vorschlag der Kommission. Dazu legt das EP seinen Standpunkt in erster Lesung fest und übermittelt ihn dem Rat. Billigt der Rat den Standpunkt des EP, so ist der betreffende Rechtsakt in der Fassung des Standpunkts des EP erlassen. Dabei handelt sich um die einfachste Variante.

Billigt der Rat den Standpunkt des EP nicht, so legt er seinen eigenen Standpunkt in erster Lesung fest und übermittelt ihn dem EP, wobei er das EP in allen Einzelheiten über die Gründe dafür unterrichtet. Die Kommission ihrerseits unterrichtet das EP in vollem Umfang über ihren Standpunkt, wonach es zur zweiten Lesung kommt. Hier stehen dem EP drei Optionen zur Verfügung:



2. Lesung


(1) Hat das EP binnen drei Monaten nach Erhalt des Standpunkts des Rats diesen gebilligt oder sich nicht geäußert, so gilt der betreffende Rechtsakt als in der Fassung des Standpunkts des Rats erlassen.

(2) Hat es den Standpunkt des Rats mit der Mehrheit seiner Mitglieder abgelehnt, so gilt der vorgeschlagene Rechtsakt als nicht erlassen.

(3) Hat es mit der Mehrheit seiner Mitglieder Änderungen an dem Standpunkt des Rats vorgeschlagen, so wird die geänderte Fassung dem Rat und der Kommission zugeleitet; die Kommission gibt eine Stellungnahme zu diesen Änderungen ab.




Vermittlungsausschuss


Hat der Rat binnen drei Monaten nach Eingang der Änderungen des EP mit qualifizierter Mehrheit alle diese Änderungen gebilligt, so gilt der betreffende Rechtsakt als erlassen. Wurden nicht alle Änderungen gebilligt, so beruft der Präsident des Rats im Einvernehmen mit dem Präsidenten des EP binnen sechs Wochen den Vermittlungsausschuss ein.

Dieser besteht aus 27 Vertretern der Mitgliedstaaten sowie 27 Repräsentanten des EP, die von den Fraktionen vor allem aus den Reihen der Mitglieder des Haushaltsausschusses sowie anderer, vom Gegenstand des in Rede stehenden Rechtsakts betroffener Ausschüsse benannt werden. Die Delegation des EP wird vom Präsidenten geleitet, der diese aber auch einem Vizepräsidenten mit Erfahrung in Haushaltsangelegenheiten oder dem Vorsitz des Haushaltsausschusses übertragen kann.

Die Kommission nimmt, wie in Artikel 294, Absatz 11 ausgeführt, "an den Arbeiten des Vermittlungsausschusses teil und ergreift alle erforderlichen Initiativen, um auf eine Annäherung der Standpunkte des Europäischen Parlaments und des Rates hinzuwirken".

Billigt der Vermittlungsausschuss binnen sechs Wochen nach seiner Einberufung keinen Gemeinsamen Entwurf, so gilt der vorgeschlagene Rechtsakt als nicht erlassen.



3. Lesung


Billigt der Vermittlungsausschuss innerhalb dieser Frist einen Gemeinsamen Entwurf und wird dieser innerhalb von sechs Wochen vom EP mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen und vom Rat mit qualifizierter Mehrheit erlassen, so ist der Rechtsakt erlassen; wenn nicht, so kommt er nicht zustande.









Zentrale Merkmale des EU-Institutionengefüges



Das Institutionengefüge der EU — eine Bilanz

Nach diesem Überblick über das Institutionengefüge der EU und sein Zusammenspiel im Entscheidungsprozess gilt es, die zentralen Erkenntnisse zusammenzufassen. Das heißt vor allem, die zentralen Merkmale zu benennen, auch und gerade im Vergleich mit den uns eher vertrauten nationalstaatlichen Systemen. Einzigartigkeit und Komplexität dürften hier wohl die Stichworte sein, die einem als erstes in den Sinn kommen. Einzigartigkeit deswegen,

  • weil die ganz besondere Aufteilung der exekutiven, legislativen und judikativen Funktionen auf die verschiedenen Organe in dieser Form sonst nirgends zu finden ist;

  • weil über diese Organe, wie beispielsweise den Rat oder den Europäischen Rat, die verschiedenen Ebenen eng verzahnt sind;

  • weil über die einzelnen Phasen der Entscheidungsprozesse die verschiedenen Ebenen, bei denen die nationale Ebene 27 in vielerlei Hinsicht unterschiedliche Mitgliedstaaten umfasst, aufs Engste zusammenspielen.

Zusammen mit weiteren Faktoren, wie beispielsweise der Tatsache, dass entlang der unterschiedlichen Entscheidungsverfahren, von denen wir hier nur eines im Detail behandelt haben, dieses Zusammenspiel erheblich variiert — insbesondere natürlich in der Außen- und Sicherheitspolitik —, macht das die enorme Komplexität des Institutionengefüges aus. In diesem Zusammenhang stellen sich zwei zentrale Fragen: Woher rührt diese außergewöhnliche Komplexität und welche Auswirkungen bringt sie für die Arbeit der EU mit sich?



Ursachen der Komplexität


Bei der Beantwortung der ersten Teilfrage hilft ein Blick auf das Analyseraster zu den Bestimmungsfaktoren des Integrationsprozesses aus dem Abschnitt zur EU-Entwicklung, das wir nachstehend in modifizierter Form eingefügt haben.




Die Konstellation der hier aufgeführten Faktoren macht es vor dem Hintergrund des Einstimmigkeitserfordernisses bei Vertragsänderungen unmöglich, auf neue Herausforderungen, die auch eine Anpassung der Institutionen und Spielregeln erfordern, sachgerecht und aus einem Guss zu reagieren. Es wird vielmehr immer der kleinste gemeinsame Nenner regieren, der in der Sache im Regelfall unzureichend ist und deswegen immer wieder neuen Anpassungsdruck produziert. Darüber hinaus werden entlang der in diesem Fall zentralen Konfliktlinie "supranational versus intergouvernemental" Lösungen gesucht, bei denen sich die eine wie die andere Seite wiederfinden kann. Auch die jüngste Vertragsänderung, der Lissaboner Vertrag, spiegelt dieses Muster wider:

  • Stärkung des Europäischen Parlaments (supranational) und des Europäischen Rates (intergouvernemental);

  • Verschiebung der Anpassung bei Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit auf 2014 oder sogar 2017;

  • Beibehaltung des Einstimmigkeitsprinzips in der Außenpolitik.

Die Tatsache, dass sich dieser Vorgang seit Gründung von EGKS und EWG viele Male wiederholt hat, hat in der Summe zu der Komplexität und den Ungereimtheiten im EU-Institutionengefüge geführt.



Auswirkungen des Institutionengefüges auf die Arbeit der EU


Die Auswirkungen dieses Institutionengefüges auf die Arbeit der EU haben wir beispielhaft anhand des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens beobachten können. Die Entscheidungsprozesse sind langwierig und zeichnen sich ebenfalls durch ein hohes Maß an Komplexität aus, das sich durch die mit dem Lissaboner Vertrag neu eingeführte Beteiligung der nationalen Parlamente noch einmal erhöhen wird.

Darüber hinaus ist daran zu erinnern, dass mit dem ständigen Präsidenten des Europäischen Rats sowie dem Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik neue Akteure hinzugekommen sind, die ihren Platz im Zusammenspiel der EU-Institutionen erst noch finden müssen. Dass dies durchaus nicht reibungslos geschieht, demonstrieren die Auseinandersetzungen beim Aufbau des Europäischen Auswärtigen Dienstes.



Zusammenfassung


Damit sind wir am Ende der Darstellung des EU-Institutionengefüges angekommen. Wir haben uns im Rahmen dieses Online-Lehrbuchs mit der Bedeutung der EU befasst. Im Abschnitt "Was ist die EU?" haben wir ausgehend vom Modell des nationalen politischen Systems die Besonderheiten des EU-Mehrebenensystems herausgearbeitet. Der umfangreiche Abschnitt zur EU-Entwicklung war der Geschichte der europäischen Integration seit dem Zweiten Weltkrieg gewidmet. Wir haben wesentliche Triebkräfte der Integration kennengelernt. Der vorliegende Abschnitt hat sich mit dem komplexen Institutionengefüge befasst, das aus der EU-Entwicklung resultierte und sich nach wie vor in ständiger Veränderung befindet. Ist das Bild damit abgerundet?

Nein, unser Bild der EU ist noch nicht vollständig, weil wir von den drei Dimensionen der Politik — Polity, Politics und Policy — nur die ersten beiden, die institutionelle Dimension (Polity) und die Politikprozesse (Politics) ausführlicher besprochen haben. Einzelne Politikfelder und Politikinhalte (Policy) kamen dagegen nur ganz sporadisch zur Sprache, wurden aber nicht systematisch dargestellt.

Was diese Lücke angeht, können wir im folgenden Abschnitt teilweise Abhilfe schaffen. Was uns noch fehlt, um die EU selbständig analysieren zu können, sind Kenntnisse zur professionellen EU-Recherche. Dass man hierbei vor allem auf das Internet angewiesen ist, versteht sich von selbst, wenn man bedenkt, dass es sich bei der EU um ein System in ständiger Veränderung handelt. Aber wir haben auch Literaturempfehlungen zur EU für Sie zusammengestellt, mit deren Hilfe Sie Ihre Kenntnisse vertiefen können ...mehr


 


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[© Text und Grafiken: Gesellschaft Agora]
 

 

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