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Die Entwicklung der Vereinten
Nationen (II):
Die Vereinten Nationen im Kalten Krieg (1946-1988)
Die hochgesteckten Erwartungen bei der Gründung der Weltorganisation wurden
schnell enttäuscht. Der spätestens 1947 manifest gewordene Ost-West-Konflikt
machte konstruktives Arbeiten in den UN-Gremien in den ersten Jahrzehnten sehr
schwierig:
"Die Einigkeit der im Zweiten Weltkrieg verbündeten Großmächte zerbrach bereits
bei der Aufteilung der Kriegsbeute - und damit auch die Hoffnung auf die 'eine
Welt', die die UNO institutionell verkörpern und schützen sollte. Hatten die
Vereinten Nationen bis 1947 noch eine Reihe von Erfolgen verbuchen können, unter
anderem den Rückzug der Sowjetunion aus dem Iran, die Regelung der Triest-Frage
und den Abzug der britisch-französischen Truppen aus dem Libanon und Syrien, so
schlug die ehemalige Waffenbrüderschaft zwischen den Westmächten und der
Sowjetunion spätestens 1947 in einen Konflikt um, der bekanntermaßen 40 Jahre
lang die internationalen Beziehungen und die Arbeit der Vereinten Nationen
prägen sollte.
Die machtpolitischen und ideologischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden
Blöcken ... dominierten fortan die Debatten und Verhandlungen in allen UN-Gremien,
naturgemäß aber am stärksten im
Sicherheitsrat. Die friedenssichernde Funktion
der Organisation kam praktisch zum Erliegen, und mehr noch: Die 'friedliebenden
Großmächte', die satzungsgemäß die Hauptverantwortung für den Frieden trugen,
begingen im Kampf um Einflusssphären in der Dritten Welt bald selbst die
gefährlichsten Friedensbrüche."
[aus: Günther Unser/Michaela Wimmer, Die
Vereinten Nationen. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Bundeszentrale für
politische Bildung, Bonn 1995, S. 37]
Die durch den Kalten Krieg bedingte Blockade des Sicherheitsrats darf aber nicht
zu dem Schluss verleiten, die ersten vier Jahrzehnte seien eine verlorene Zeit
für die UNO gewesen, deren Geschichte eigentlich erst mit den epochalen
Umbrüchen der Jahre 1989/90 beginne. Eine solche Einschätzung würde die
Leistungen der Weltorganisation etwa im Bereich des Menschenrechtsschutzes, der Weiterentwicklung des Völkerrechts
oder der Entkolonialisierung verkennen. Zwar konnte das Kapitel VII
der UN-Charta als Kernstück des kollektiven Sicherheitssystems nicht angewendet
werden, doch fand die Organisation andere Schwerpunkte ihrer Arbeit. Trotz -
oder gerade wegen - der Blockade gelang es, wichtige Weichenstellungen
vorzunehmen, die das heutige Gesicht der UNO als Forum für globale Probleme
prägten.
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"Das Aktionsfeld der
UNO beschränkte sich in der ersten Phase auf die Bereiche, in denen keine
direkten Interessen der Großmächte betroffen waren. Der erste
Generalsekretär, Trygve Lie aus Norwegen, war während eines Großteils
seiner Amtszeit (1946-1952) damit beschäftigt, das
Sekretariat auszubauen
und die Vereinten Nationen in ihrem Hauptquartier in New York arbeitsfähig
zu machen. Darüber hinaus wurde ... eine Reihe von Sonder- und
Hilfsorganisationen ins Leben gerufen, um den Wiederaufbau der zerstörten
Gebiete - vor allem in Europa - zu erleichtern. Einen Höhepunkt jener Jahre
bildete schließlich die 'Allgemeine Erklärung der Menschenrechte', die von
der UN-Menschenrechtskommission - einem Fachorgan des
Wirtschafts- und
Sozialrates - erarbeitet und am 10. Dezember 1948 von der
Generalversammlung
einstimmig angenommen wurde." [...mehr Informationen zum Thema
Menschenrechte sowie alle wichtigen Dokumente finden Sie im
Themenkomplex Menschenrechte auf D@dalos]
[aus: Günther Unser/Michaela Wimmer, Die
Vereinten Nationen. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Bundeszentrale für
politische Bildung, Bonn 1995, S. 41] |
Nach dem Tod Stalins 1953 sorgte
die leichte Entspannung zwischen den Blöcken ("friedliche Koexistenz") auch bei
den Vereinten Nationen für eine Erleichterung der Arbeitsbedingungen. Nach
jahrelangem Aufnahmestopp konnten 1955 16 neue Mitgliedstaaten der UNO beitreten.
Die Staaten des Ostblocks begannen sich nun auch an einigen freiwillig
finanzierten UN-Hilfsprogrammen und Sonderorganisationen zu beteiligen, die sie
in den ersten Jahren boykottiert hatten. Außerdem wurde 1953 der Schwede Dag
Hammarskjöld zum neuen UN-Generalsekretär gewählt, der bis heute als der
herausragendste Amtsinhaber gilt.
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"Dag Hammarskjöld
betrachtete sich nicht 'nur' als Repräsentant und Verwaltungschef der
Vereinten Nationen. Zielbewusst und mit großem Geschick nutzte er in den
folgenden Jahren Lücken in der UN-Charta, um die Aufgaben und
Handlungsspielräume des Generalsekretärs kontinuierlich auszuweiten. Ohne
besondere Aufforderung oder Ermächtigung durch den Sicherheitsrat oder die
Generalversammlung versuchte er, im Sinne einer 'vorbeugenden Diplomatie'
bereits bei auftretenden Konflikten zu vermitteln, bevor der Streit ein
akutes Stadium erreicht hatte.
Auf Basis der Uniting-for Peace-Resolution aus dem Jahre 1950 ...
entwickelten die Vereinten Nationen auf Betreiben ihres neuen
Generalsekretärs Mitte der fünfziger Jahre ein völlig neues und in der
Charta nicht vorgesehenes Instrument: die sogenannten 'friedenssichernden
oder friedenserhaltenden Operationen' (Peacekeeping-Missionen). Im
Unterschied zu den 'friedenserzwingenden' Maßnahmen des Kapitels VII beruhen
solche Operationen nicht auf Gewalteinsatz, sondern dienen der
Stabilisierung des Gewaltverzichts durch die Installierung einer 'Pufferzone'
zwischen den Konfliktparteien. |
Da solche friedenserhaltenden
Einsätze der Vereinten Nationen grundsätzlich nur mit Einverständnis der
betroffenen Konfliktparteien möglich sind und die UN-Soldaten - außer zur
Selbstverteidigung - keine Waffen gebrauchen dürfen, waren solche Operationen
eher mehrheitsfähig als militärische UN-Aktionen."
[aus: Günther Unser/Michaela Wimmer, Die
Vereinten Nationen. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Bundeszentrale für
politische Bildung, Bonn 1995, S. 45]
Anlass für den ersten "Blauhelmeinsatz" bildete die Suezkrise 1956. Hier
fungierten die UN-Truppen als Puffer zwischen den Konfliktparteien. Weitere
Einsätze folgten, wobei die Aufgabenbereiche für die Blauhelme kontinuierlich
ausgedehnt wurden. Eine Übersicht über die bisherigen Friedenmissionen, deren
Zahl nach dem Ende des Kalten Krieges sprunghaft anstieg [siehe
nächster Abschnitt im Rahmen dieses Grundkurses], steht im Abschnitt
Chronologie zur Verfügung.
Seit Mitte der 50er Jahre bildeten Fragen der Entkolonialisierung einen
Schwerpunkt der Arbeit. Nachdem der Weg in die Unabhängigkeit für die Kolonien anfangs
von blutigen (Befreiungs-)
Kriegen gekennzeichnet war, gelang es - nicht zuletzt dank der Vereinten Nationen -, den
Prozess in geordnete und friedliche Bahnen zu lenken.
"Gravierende Auswirkungen hatte der Entkolonialisierungsprozess auf die
Vereinten Nationen selbst: Die eben unabhängig gewordenen Staaten traten ihnen
sämtlich bei, so dass die Organisation allein von 1955 bis 1962 um 50 neue
Mitglieder wuchs. 1965 gehörten bereits 118 Staaten den Vereinten Nationen an,
und auch die geographische Verteilung veränderte sich grundlegend. Bestand die
UNO 1945 fast ausschließlich aus nord- und südamerikanischen sowie europäischen
Staaten, so kamen im Zuge der Entkolonialisierungswelle nun vor allem asiatische
und afrikanische Länder, später auch ozeanische und karibische hinzu. Damit
entwickelte sich die UNO von einem Gremium, das primär aus den Alliierten des
Zweiten Weltkrieges bestanden hatte, zu einer wirklichen Weltorganisation."
[aus: Günther Unser/Michaela Wimmer, Die
Vereinten Nationen. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Bundeszentrale für
politische Bildung, Bonn 1995, S. 51-53]
Dadurch änderte sich das Gesicht der Vereinten Nationen völlig. Von den drei
Aufgabenfeldern [siehe Grundkurs 1]
rückte der ursprünglich zentrale Aufgabenbereich - die Friedenssicherung - in
den Hintergrund, zumal der Sicherheitsrat durch die Vetomacht der Gegenspieler
im Kalten Krieg ohnehin nur sehr eingeschränkt funktionsfähig war, und der
Aufgabenbereich "wirtschaftliche und soziale Entwicklung" rückte in den
Mittelpunkt.
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Mit den ehemaligen Kolonien waren fast ausnahmslos Entwicklungsländer der UNO
beigetreten. Die Staaten der "Dritten Welt" verfügten nun über eine Mehrheit der
Stimmen in der Generalversammlung. Entwicklungspolitik stand fortan im
Zentrum der Arbeit der Vereinten Nationen. 1961 wurde Sithu U Thant aus
Birma zum UN-Generalsekretär gewählt und die Generalversammlung rief die
"Erste Entwicklungsdekade" aus. 1963 wurde durch zwei Änderungen der
UN-Charta die Zahl der nichtständigen Mitglieder im Sicherheitsrat von sechs auf
zehn erhöht, die Mitgliederzahl des Wirtschafts- und Sozialrats von 18 auf 27
(1971 nochmals auf 54). |
Geographische
Verteilung der 127 UN-Mitglieder (1970) |
Afrika |
42 |
Asien |
29 |
Europa |
27 |
Amerika |
26 |
Ozeanien |
3 |
Gesamt |
127 |
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Mit ihrer Mehrheit in der Generalversammlung bewirkten die Entwicklungsländer
die Gründung der UNCTAD (Konferenz
der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung) als Gegengewicht gegen die Bretton Woods-Organisationen
Weltbank und Internationaler
Währungsfonds, in denen sich die Stimmenzahl nach der Kapitaleinlage bemisst
und damit den ärmeren Staaten kaum Gestaltungsmöglichkeiten einräumt.
1966 wurden zwei bestehende
Institutionen - das technische Entwicklungshilfeprogramm EPTA und der 1959
gegründete Sonderfonds SF - zum UN-Entwicklungsprogramm
UNDP zusammengefasst. Der Ost-West-Konflikt ging zwar weiter und
erschwerte nach wie vor die Arbeit der UNO, wurde nun aber überlagert vom
Nord-Süd-Konflikt.
"Die westlichen Staaten standen der automatischen
Zweidrittelmehrheit der Staaten der Dritten Welt immer ablehnender gegenüber.
Die Entwicklungsländer beschwerten sich über die 'Ignoranz der Minderheit'
gegenüber den Problemen der großen Masse der Menschheit. Die Industrieländer,
allen voran die USA - als mit Abstand größter Beitragszahler -, beklagten die 'Tyrannei
der Mehrheit' der Dritten Welt in den UN-Organen ... Da die Entwicklungländer
weniger als drei Prozent zum Haushaltsplan beitrugen, waren die Amerikaner immer
weniger bereit, deren Empfehlungen und Beschlüsse über wichtige Fragen,
einschließlich des UN-Budgets, hinzunehmen."
[aus: Günther Unser/Michaela Wimmer, Die
Vereinten Nationen. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Bundeszentrale für
politische Bildung, Bonn 1995, S. 67-69]
[Kurt Waldheim,
UN-Generalsekretär
1972-1981] |
Helmut Volger fasst die Entwicklung dieser Phase zusammen:
"Die siebziger
Jahre waren in den Vereinten Nationen das Jahrzehnt der großen Hoffnungen
der Staaten der Dritten Welt. Besonders nachdem im Oktober 1971 auf
Beschluss der UN-Generalversammlung die Volksrepublik China die Republik
China (Taiwan) als UN-Mitglied ersetzte, fühlten sich viele Staaten der
Dritten Welt in ihrer Position gestärkt, da die Volksrepublik China als
ständiges UN-Sicherheitsratsmitglied und als Sprecher sowie
Interessenvertreter der Dritten Welt auftrat.
Im Mittelpunkt der Arbeit der Vereinten Nationen stand in diesem
Zeitabschnitt das Bemühen um die Reform der Weltwirtschaft (...). So wurde
von einer UN-Sondergeneralversammlung 1974 im Konsensverfahren eine
"Erklärung über die Errichtung einer neuen Weltwirtschaftsordnung"
angenommen. Sie wurde ergänzt durch eine "Charta der wirtschaftlichen Rechte
und Pflichten der Staaten", die die UN-Generalversammlung im Dezember 1974
als Resolution verabschiedete.
Zu den Programmpunkten der "Neuen Weltwirtschaftsordnung" ... zählten u.a.
faire Preisrelationen für die Dritte Welt, die schrittweise Beseitigung von
tarifären und nichttarifären Handelshemmnissen, um für die Staaten der
Dritten Welt den Zugang zu den Märkten der Industrieländer zu erleichtern,
sowie vermehrte öffentliche Entwicklungshilfeleistungen (...). |
Weil die Erklärung über die Reform
der Weltwirtschaftsordnung von allen Mitgliedstaaten - auch den Industrieländern
des Westens - angenommen worden war, waren die Staaten der Dritten Welt
optimistisch, dass die zügige Umsetzung der einzelnen Reformschritte gelingen
würde. Tatsächlich gelang es Ihnen aber - wegen des diplomatisch geschickten,
aber in der Sache harten Widerstandes der Industrieländer - in den folgenden
Jahren nicht, bei den Welthandelskonferenzen der UNCTAD und bei den
Verhandlungen in der Weltbank, im Internationalen Währungsfonds und im
Allgemeinen Zoll und Handelsabkommen (GATT) über kleinere Zugeständnisse hinaus
eine entscheidende Strukturänderung des Welthandelssystems zu erreichen. Die
UNCTAD-Konferenz 1983 in Belgrad signalisierte schließlich ... das Scheitern der
Bemühungen der Dritten Welt um eine 'Neue Weltwirtschaftsordnung', was
verheerende Konsequenzen für die Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit in
den meisten Staaten der Dritten Welt hatte."
[aus: Helmut Volger, Zur Geschichte der
Vereinten Nationen; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 42/1995, Bundeszentrale
für politische Bildung Bonn, S. 7-8]
Diese Probleme der weltweiten Verteilung und der daraus resultierenden
Ungerechtigkeit sind bis heute ungelöst. Sie haben sich durch die Prozesse, die
unter dem Etikett "Globalisierung" zusammengefasst werden, in den letzten
Jahrzehnten sogar noch verschärft [weitere Informationen hierzu finden Sie im
Rahmen des Themenkomplexes
Globalisierung auf D@dalos].
Die Bilanz im Bereich Friedenssicherung
Die Bilanz hinsichtlich der Hauptaufgabe der Vereinten Nationen, der Sicherung
des Friedens und der internationalen Sicherheit, fällt in den ersten Jahrzehnten
ambivalent aus. Während in der Berlin-, der Suez- und Kuba-Krise davon
gesprochen werden kann, dass sich die Weltorganisation bewährt hat, war bei der
Kongo-Mission eine Überforderung zu verzeichnen, die spätere Probleme bei
Friedensmissionen vorwegnahm [eine chronologische Übersicht über alle
Friedensmissionen finden Sie auf der Seite
Chronologie].
Berlin-Krise: Die Vereinten Nationen als Verhandlungsforum
"Im Falle der Berlin-Blockade, die auf die Tagesordnung des Sicherheitsrats Ende
September 1948 auf Antrag der Westmächte gesetzt wurde, verhinderte die UdSSR
zwar die Verabschiedung von Ratsresolutionen, jedoch kam es in der Folgezeit zu
diplomatischen Aktivitäten in den Vereinten Nationen. Im Oktober 1948
vermittelte UN-Generalsekretär Lie auf Bitten des amerikanischen UN-Delegierten
Jessup über seine Mitarbeiter Sobolew (UdSSR) und Feller (USA) Gesprächskontakte
mit dem stellvertretenden sowjetischen Außenminister Wyschinskij; die
Verhandlungsinitiative blieb jedoch ohne Erfolg.
Als sich US-Präsident Truman am 31. Januar 1949 entschloss, ein indirektes
Verhandlungsangebot, das Stalin in einem Interview mit einer
US-Nachrichtenagentur unterbreitet hatte, mit einem Signal der
Gesprächsbereitschaft zu beantworten, wählten die USA für die geheimen
Gesprächskontakte bewusst die Vereinten Nationen: Der amerikanische
UN-Delegierte Jessup traf sich wiederholt mit dem sowjetischen UN-Delegierten
Malik und handelte mit diesem die Beendigung der Blockade aus. Trotz des durch
Veto blockierten Sicherheitsrats hatten sich die Vereinten Nationen im
Berlin-Konflikt als Konfliktschlichtungsinstrument bewährt."
[aus: Helmut Volger, Zur Geschichte der
Vereinten Nationen; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 42/1995, Bundeszentrale
für politische Bildung Bonn, S. 4]
Kollektives Sicherheitssystem: Grundidee und Grundproblem
Die Berlin-Krise zeigt, dass wichtige Funktionen der Vereinten Nationen unterhalb der
Schwelle "spektakulärer" Friedensmissionen angesiedelt sind. Sie bieten ein
Forum für Gespräche, auch und gerade in Krisenzeiten, wenn fehlende
Gesprächskanäle zur Eskalation von Konflikten führen können. Sicherlich genügt
das den Ansprüchen an ein funktionierendes kollektives Sicherheitssystem nicht,
dessen einfache Grundidee darin besteht, dass sich ein potenzieller Aggressor
einer geschlossenen Front aller Mitglieder gegenübersehen würde, weswegen er (im
Idealfall) von vornherein auf einen Angriff verzichtet. Greift er trotzdem an,
wird der angegriffene Staat von allen Mitgliedern des Systems verteidigt.
Ein solches System hat (bislang) nicht funktioniert, und Kritiker wenden ein, es
könne aus strukturellen Gründen auch nicht funktionieren, wie die bisherige
Geschichte der Vereinten Nationen belege. Denn entweder werde es nicht gebraucht
(wenn sich die wichtigen Mitglieder einig sind) oder es funktioniere nicht (wenn
sie sich uneinig sind).
Trotzdem kam es 1950 nach dem Angriff Nordkoreas auf Südkorea zu einer
militärischen Aktion unter Führung der USA, die ausdrücklich vom Sicherheitsrat
ermächtigt war. Dies stellte jedoch insofern einen Sonderfall dar, als die
Resolution im Sicherheitsrat nur verabschiedet werden konnte, weil die
Sowjetunion in dieser Zeit den Ratssitzungen (aus Protest dagegen, dass die
Volksrepublik China nicht anstelle Taiwans in die Vereinten Nationen aufgenommen
wurde) ferngeblieben war.
Suez-Krise: Die Erfindung der Friedenstruppen
"Eine wichtige Bewährungsprobe für das System der Friedenssicherung in den
Vereinten Nationen stellte der Suez-Konflikt 1956 dar: Zum einen gelang es den
Vereinten Nationen, trotz der direkten Beteiligung von zwei ständigen
Sicherheitsratsmitgliedern - Großbritannien und Frankreich - handlungsfähig zu
bleiben, weil die USA starken politischen Druck auf beide ausübten, einer
Vermittlungslösung zuzustimmen, und weil - nachdem Großbritannien und Frankreich
durch ihr Veto den Sicherheitsrat blockiert hatten - der Rat mit den Stimmen der
USA und der UdSSR nach dem Verfahren der 'Uniting-for-Peace-Resolution' die
Einberufung einer Notstandssondertagung der Generalversammlung beschlossen
hatte.
Die Generalversammlung beschloss auf Vorschlag von Generalsekretär Hammarskjöld,
UN-Truppen zur Überwachung der Einhaltung des vorher ausgehandelten
Waffenstillstandes aufzustellen; dies waren die ersten UN-Friedenstruppen und
bedeutete eine Weiterentwicklung der Charta, in der solche UN-Truppen, die keine
militärischen Sanktionen gemäß Kapitel VII nach einem Friedensbruch durchführen
sollen, sondern lediglich mit Zustimmung der Konfliktparteien einen
Waffenstillstand sichern, nicht vorgesehen waren. Heute sind sie zweifellos das
wichtigste Instrument der Vereinten Nationen."
[aus: Helmut Volger, Zur Geschichte der
Vereinten Nationen; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 42/1995, Bundeszentrale
für politische Bildung Bonn, S. 6]
Kongo-Konflikt: Überforderung der Friedenstruppen
Die
Friedensmission im Kongo-Konflikt 1960 bis 1964 machte die Grenzen des neuen
Instruments deutlich und dämpfte den Optimismus, der sich mit den
Friedenstruppen verband. Sven Gareis und Johannes Varwick fassen das
Scheitern der Mission zusammen:
"Die zeitweiligen Erfolge der UNEF-Mission hatten dazu geführt, dass zu
Beginn der 1960er Jahre mit der Friedenssicherung der Vereinten Nationen
recht optimistische Erwartungen verbunden wurden. Ausdruck dieser Haltung
war u.a. der ambitionierte Einsatz im Kongo ... (ONUC), der die von
Hammarskjöld aufgestellten Prinzipien allerdings teilweise missachtete.
Beginnend mit der Resolution 143 vom Juli 1960 wurde in insgesamt vier
weiteren Resolutionen des Sicherheitsrates das Mandat erweitert. |
Hammarskjölds
Grundprinzipien für Blauhelm-Einsätze:
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Alle
Konfliktparteien müssen dem Einsatz zustimmen. |
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Die Vereinten
Nationen sind für den Einsatz verantwortlich, d.h.
Beobachtungsmissionen und Friedenstruppen sind Nebenorgane des
Sicherheitsrats. |
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Die Blauhelme
sind unparteilich. |
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Den Blauhelmen
ist der Einsatz von Waffen nur zur Selbstverteidigung erlaubt. |
|
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Die zu Spitzenzeiten fast 20.000
Soldaten umfassende ONUC-Mission wurde ursprünglich eingesetzt, um für den
Rückzug der belgischen Truppen aus der Republik Kongo zu sorgen, weitete sich
dann aber aus, um sowohl die territoriale Integrität Kongos zu gewährleisten,
den Ausbruch eines Bürgerkrieges zu verhindern bzw. einzudämmen als auch die
Regierung bei dem Aufbau der Amtsgeschäfte zu unterstützen.
Mit der Sicherheitsratsresolution 161 vom Februar 1961 wurde den Friedenstruppen
zudem erstmals die Anwendung von Waffengewalt jenseits der Selbstverteidigung
auch zur Durchsetzung ihres Auftrags erlaubt, wodurch sie im Laufe der Mission
entgegen der ursprünglichen Konzeption zunehmend selbst zur Konfliktpartei
wurde. Nach anfänglichen Erfolgen wurde ONUC zum ersten 'major peacekeeping
failure' (Jett). Die Vereinten Nationen wurden zunehmend in die ungelösten
innerstaatlichen Konflikte der Republik Kongo verstrickt (...).
Die Lehren aus der Kongo-Mission, die William Durch sicherlich etwas
übertrieben als das 'Vietnam der UNO' bezeichnet hat, waren nachhaltig. Eine mit
der Größe und Komplexität vergleichbare Mission fand mehr als drei Jahrzehnte
nicht statt. Fortan waren die Ziele der Friedenssicherung bescheidener. Die
Vereinten Nationen besannen sich auf die von Hammarskjöld formulierten
Prinzipien und suchten insbesondere die Zustimmung der Konfliktparteien, bevor
ein Einsatz unternommen wurde."
[aus: Sven Gareis/Johannes
Varwick, Die Vereinten Nationen. Aufgaben, Instrumente und Reformen;
Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Band 403, Bonn 2003, S.
122-123]
Kuba-Krise: Erfolgreiche Vermittlung
"In der Kuba-Krise 1962, die die akute Gefahr eines nuklearen Krieges
zwischen den USA und der UdSSR heraufbeschwor, vollbrachten die Vereinten
Nationen eine ihrer wichtigsten Leistungen. Auf dem Höhepunkt der
Konfrontation, als sowjetische Schiffe sich auf dem Weg nach Kuba befanden,
für deren Seegebiet US-Präsident Kennedy eine Quarantänezone für sowjetische
Schiffe definiert hatte, war UN-Generalsekretär U Thant in der Lage, durch
gleichlautende direkte Schreiben an Chruschtschow und Kennedy am 24.
Oktober, in denen er sie um eine begrenzte Stillhaltefrist bat, und durch
weitere getrennte Schreiben am 25. Oktober, in denen er beide Seiten erneut
aufforderte, weitere Konfrontationen zu vermeiden, den
Eskalationsmechanismus zu stoppen (...). |
Aus dem
Schreiben von U Thant an Chruschtschow und Kennedy:
"Ich glaube, dass
ein solcher freiwilliger Aufschub für einen Zeitraum von zwei oder
drei Wochen die Situation sehr entspannen wird und den beteiligten
Parteien Zeit geben wird, sich zu treffen und zu diskutieren mit dem
Ziel, eine friedliche Lösung des Problems zu finden. In diesem
Zusammenhang würde ich mich gerne allen Parteien zur Verfügung stellen
für welche Dienste auch immer, die ich zu leisten in der Lage sein
könnte."
[zitiert nach: Helmut Volger, Zur Geschichte der
Vereinten Nationen; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 42/1995, Bundeszentrale
für politische Bildung Bonn, S. 6, Anm. 17] |
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Die Vereinten
Nationen hatten bei dem Krisenmanagement in der Kuba-Krise entscheidenden
Anteil: Die Initiative von U Thant trug dazu bei, die direkte Konfrontation zu
vermeiden, gab beiden Seiten Zeit, nach anderen Lösungen zu suchen, und erlaubte
es ihnen, ohne Gesichtsverlust bisherige Positionen zu räumen, um sich auf eine
friedliche Lösung des Problem zu einigen."
[aus: Helmut Volger, Zur Geschichte der
Vereinten Nationen; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 42/1995, Bundeszentrale
für politische Bildung Bonn, S. 6-7]
Ambivalente Bilanz von Gareis/Varwick
"Bilanziert man zusammenfassend die Erfahrungen aus den ersten vier Jahrzehnten
der VN-Friedenssicherung, so ergibt sich ein gemischtes Bild. Zunächst ist
festzuhalten, dass jede Mission ein Spezialfall ist, der nicht nach einem fest
gefügten und bis in jedes Detail gleichen Plan abläuft. Die Idealvorstellungen
aus der VN-Charta (und insbesondere die weitreichenden Regelungen aus Kapitel
VII) erwiesen sich als in der Praxis kaum anwendbar, weshalb mit den nicht in
der Charta vorgesehenen 'Blauhelmen' ein innovatives Instrument entwickelt
wurde.
Die Einsätze zielten vornehmlich darauf ab, den Parteien bei der Lösung eines
Konflikts behilflich zu sein bzw. 'den Konflikt in seinem gewaltsamen Teil
stillzulegen' (Kühne) ... Blauhelmeinsätze waren Mittel der Konfliktberuhigung
und nicht der Konfliktlösung, und zwar nicht aus Bescheidenheit oder mangelnden
Zutrauen in die Lösungskompetenz der Vereinten Nationen, sondern aus
konzeptioneller Zurückhaltung, strategischer Klugheit und Beschränkung auf das
Machbare. Das Ziel der Konfliktberuhigung wurde in der Mehrzahl der Fälle
erreicht, allerdings oftmals - wie im Fall Zypern - nur um den Preis einer
aufwendigen Dauerpräsenz. Wurde - wie im Falle des Kongos - diese Beschränkung
aufgegeben, waren die Ergebnisse eher negativ."
[aus: Sven Gareis/Johannes
Varwick, Die Vereinten Nationen. Aufgaben, Instrumente und Reformen;
Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Band 403, Bonn 2003, S.
124]
Krise der Vereinten Nationen
Die ohnehin begrenzten Möglichkeiten der Friedenssicherung nahmen im Lauf der
70er und 80er Jahre weiter ab. Allgemein wurde von einer Krise der Vereinten
Nationen gesprochen, die Mitte der 80er Jahre sogar existentielle Ausmaße für
die Weltorganisation annahm, wie der folgende Textauszug aufzeigt:
"In der Friedenssicherung befanden sich die Vereinten Nationen in den siebziger
und achtziger Jahren in einer tiefen Krise: Sie blieben zwar weiterhin im Nahen
Osten und auf Zypern mit einer Reihe von Friedenssicherungsmissionen präsent,
aber in beiden Konfliktzonen konnten sie erneute militärische
Auseinandersetzungen nicht verhindern. Ebensowenig konnten sie zur Beilegung
neuentstehender kriegerischer Konflikte in Nicaragua, der Westsahara, Kambodscha
und Afghanistan und des sich ausweitenden Krieges zwischen dem Iran und dem Irak
in diesem Zeitraum einen Beitrag leisten.
[Pérez de Cuéllar,
UN-Generalsekretär
1982-1991] |
Das Hauptproblem
lag in dieser Phase der internationalen Politik darin, dass den
Lösungsvorschlägen der Vereinten Nationen wenig Beachtung geschenkt wurde.
So sprach Pérez de Cuéllar in seinem Jahresbericht 1983 an die
Generalversammlung von einem 'Prozess der Zersetzung des Multilateralismus
und des Internationalismus', welcher die Arbeit der Vereinten Nationen sehr
beeinträchtige. Er beklagte die Tendenz der Großmächte, sich in regionalen
Konflikten mit Waffenhilfe zu engagieren: 'In einigen Fällen ging dies so
weit, dass regionale Konflikte buchstäblich zu Stellvertreterkriegen der
mächtigeren Nationen ausarteten. In solchen Situationen besteht die Tendenz,
die beratenden Organe der Vereinten Nationen zu umgehen bzw. auszuschalten
oder ... sich ihrer ausschließlich zum polemischen Schlagabtausch zu
bedienen.' (...)
Ausgeweitet wurde die Krise in der Friedenssicherung zu einer allgemeinen
Existenzkrise der Vereinten Nationen durch die Politik des Rückzugs und der
Beitragsverweigerung der USA unter Präsident Reagan Mitte der achtziger
Jahre. Ausgelöst wurde diese Politik durch die Verärgerung der USA über
Abstimmungsniederlagen in der Generalversammlung und über
Sicherheitsratsresolutionen, bei denen sie sich gezwungen sahen, ihr Veto
einzulegen, um Sanktionsmaßnahmen gegen Südafrika und Südrhodesien und
Kritik an der Politik Israels gegenüber den Nachbarstaaten und den
Palästinensern zu verhindern. |
Hinzu kamen Vorwürfe innerhalb der
USA gegenüber dem Verwaltungsapparat der Vereinten Nationen: Er arbeite
ineffizient und verschwende Geldmittel (...) [zu den Problemen der Vereinten
Nationen siehe Grundkurs 5].
Erheblich gravierender waren die Folgen der Weigerung der USA im Jahr 1986,
ihren Beitragsverpflichtungen in voller Höhe nachzukommen."
[aus: Helmut Volger, Zur Geschichte der
Vereinten Nationen; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 42/1995, Bundeszentrale
für politische Bildung Bonn, S. 8]
Durch einen Kompromiss konnte zwar die Zahlungsunfähigkeit der Vereinten
Nationen verhindert werden, die Weltorganisation führte aber ein Schattendasein in der internationalen Politik. Das änderte
sich schlagartig mit dem Ende des Ost-West-Konflikts ...
[Autor: Ragnar Müller]
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